Aethermagie
knapp. Der Krieg fordert Opfer.« Das hatte er mehr zu sich als zu seinem Gegenüber gesagt, aber Jewgenij nickte.
Professor Charcot zog eine Braue hoch. »Sie stimmen mir zu?«, fragte er sanft.
Jewgenij biss sich auf die Wange. »Nee«, sagte er. »Ich hab bloß Zuckungen.«
»Dagegen können und sollten wir etwas unternehmen.« Charcot kehrte an seinen Schreibtisch zurück. »Sie werden in den Genuss einer Behandlung kommen, die einem Verbrecher wie Ihnen nach Meinung vieler nicht zusteht. Andererseits sind es Fälle wie Sie, die unsere Wissenschaft weiter nach vorne bringen.« Er notierte schnell und energisch etwas auf ein Blatt Papier. »Wahrscheinlich verstehen Sie kaum etwas von dem, was ich Ihnen hier erzähle. Aber das soll Sie nicht bekümmern. Wir werden gut für Sie sorgen. Morgen bekommen Sie Ihre erste Behandlung.« Sein Blick fing Jewgenijs Lidzucken auf. »Sie sind ein kräftiger Mann. Fürchten Sie sich nicht. Sie werden es überleben und an Seele und Geist gestärkt daraus hervorgehen. Wir werden Sie zunächst in Abteilung C unterbringen, eine der beiden geschlossenen Abteilungen. Wenn Sie sich gut führen, steht Ihnen je nach den Fortschritten, die wir machen, der Weg bis hin zu Abteilung A offen. Sobald wir Sie in Station B verlegen können, werden Sie auch zu kleinen Arbeiten herangezogen werden – aber für den Anfang wollen wir uns doch auf die Ihnen anzugedeihenden Therapien konzentrieren.« Er griff nach einer Tischglocke und läutete.
Der Wärter trat ein und wurde angewiesen, Baldo Moroni, den »Knochenbrecher«, in die Abteilung C zu bringen und dem Oberwärter seine Akte zu übergeben.
Er wurde durch Flure und Treppenhäuser, über Treppen und durch Türen, die sorgfältig hinter ihm wieder abgeschlossen wurden, in einen höhergelegenen Teil des Hauses gebracht. Dieser Trakt, der durch mehrere bewachte Schleusen vom Rest des Hauses hermetisch abgeriegelt wurde, blickte auf ein weites Parkgrundstück hinaus, in dem sich grau gekleidete Anstaltsinsassen und ihre Wärter bewegten. Jewgenij konnte hier und da einen Blick durch ein Fenster werfen und fragte sich, wann er wohl das nächste Mal wieder den freien Himmel sehen und Wind auf seinem Gesicht spüren würde.
Der Wärter Hader sprach kein Wort auf ihrem Weg. Seine Kommandos bestanden aus unartikulierten Knurrlauten und Handzeichen. Er wirkte gelangweilt und gereizt zugleich, und Jewgenij hütete sich, ihn zu provozieren. Dies war der erste Tag in der Anstalt und es würde noch eine lange Reihe weiterer Tage folgen. Er musste unauffällig werden, zu dem verschossenen Grau seiner Anstaltskleidung verbleichen, sich anpassen, den Kopf unten behalten. Wenn er hier herumzuschnüffeln begann, würde es darauf ankommen, ob man ihn für einen Aufrührer und Quertreiber hielt oder für jemanden, der begriffen hatte, wie man überlebt.
Wieder rasselte der Schlüsselbund, klapperten Schlüssel, klackte ein Schloss. Die Tür ging auf, ein Wärter in einer befleckten weißen Montur stand dahinter und hielt locker eine Jacke mit langen Ärmeln unter den Arm geklemmt. »Der Knochenbrecher?«, fragte er.
Hader nickte und schob Jewgenij durch die Tür, dem Wärter in die Arme. »Hier ist seine Akte.«
Der Wärter musterte Jewgenij. »Ist er friedlich?«
Hader zuckte mit den Schultern. »Hat ein großes Maul. Könnte nicht schaden, ihn ein bisschen abzukühlen.«
Der Wärter nickte und legte Jewgenij die Hand auf den Rücken. »Da lang, Kumpel«, sagte er und deutete auf das Ende des Ganges.
Wieder ein gefliester Raum. Jewgenij, der gehofft hatte, dass man ihm ein Zimmer oder zumindest ein Bett in einem Schlafsaal zuweisen und ihn dann eine Weile in Ruhe lassen würde, sah mit aufkeimendem Misstrauen die großen Zinkwannen an, die im Raum verteilt standen. »Ich bin sauber«, sagte er. »Wir sind bei der Ankunft …«
Der Wärter schob ihn zu einer Holzbank am Kopfende des Raumes, ohne seinen Protest zu beachten. »Leg deine Kleider hier hin«, sagte er. »Dahinten kannst du noch mal austreten. Mein Rat: Tu’s!« Er drehte sich zu einer der Wannen und hantierte daran herum. Wasser gurgelte und plätscherte durch einen Hahn. Das Zischen einer Ætherleitung, dann der leise Knall, mit dem ein Brenner seinen Betrieb aufnahm.
»Was gibt das?«, fragte Jewgenij.
Der Wärter blickte über seine Schulter. »Mach dir nicht ins Hemd. Ganz normale Prozedur, die fährt dein Temperament ein bisschen runter. Ich kann keine Randalierer auf meiner
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