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Aethermagie

Titel: Aethermagie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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weiteres Vorgehen. Jewgenij musterte Ivo, der immer noch blass und mit zusammengekrampften Fäusten neben ihm verharrte. »Abteilung D?«
    Ivo Branković sog Luft durch die Nüstern ein wie ein Pferd. »Frag nicht. Bete lieber darum, dass du sie nie kennenlernst.«
    Sie wurden getrennt, Stadler ging mit Ivo Branković in die eine Richtung, begleitet von Johannsen, der andere Wärter geleitete Jewgenij und den rothaarigen Arzt entgegengesetzt den Korridor hinunter. Jewgenij sah seinen Verbindungsmann die Treppe hinuntereilen. Ein letzter Blick, ein Achselzucken, dann war er mit dem unangenehmen Dr. Rados und dem fremden Wärter allein. Jewgenij räusperte sich. »Was ist die Abteilung D?«
    Der Wärter warf ihm einen schrägen Blick zu. »Willst du nicht wissen, 329.«
    »Halten Sie den Mund, Rosenberg«, rief der Arzt über die Schulter. »Und Sie, Herr Moroni, erfahren noch früh genug, was Sie in Abteilung D erwartet. Ich kann mir vorstellen, dass der Anstaltsdirektor Sie dafür vorgesehen hat.«
    Jewgenij nickte und bemühte sich um eine neutrale Miene, um seine Erleichterung nicht zu zeigen. Sein unerreichbar erscheinender Einsatzort war soeben in greifbare Nähe gerückt. Ganz am Rande dachte er an Ivo Brankovićs Angst vor dieser Station, dann schob er den Gedanken beiseite.
    Der Arzt führte ihn in ein kleines Zimmer, das mit einem Tisch, einem Hocker, einer Liege und verschiedensten Geräten bestückt war. »Sie werden jetzt vermessen und gewogen«, sagte Dr. Rados und nickte dem Wärter auffordernd zu. »Ich komme gleich zurück und nehme die körperliche Untersuchung vor.« Er ging durch eine zweite Tür in einen Nebenraum, aus dem beim Öffnen eine lebhafte Unterhaltung drang. Die Tür schlug zu, er war mit dem Wärter allein. »Zieh dich aus«, sagte der Mann und notierte etwas auf einem Formular. »Alter?« Er griff nach einem Maßband.
    Jewgenij schälte sich aus seinen Kleidern – das wurde langsam zur Gewohnheit – und ließ Vermessung und Befragung geduldig über sich ergehen. Alles wurde säuberlich notiert, dann klopfte der Wärter an die Tür und rief: »Wir wären durch!«
    Nun folgte eine lange Befragung, bei der Jewgenij sich immer wieder in Erinnerung rufen musste, dass er Moroni war. Dies war der schwierigste Teil bisher. Er konnte sich nicht wirklich gut vorstellen, was im Kopf eines Totschlägers vor sich gehen mochte. Er hatte auf der Bühne auch Verrückte gespielt, er war der wahnsinnige Zar Boris gewesen, der daran zugrunde ging, dass Blut an seinen Händen klebte, er hatte als König Philipp den Tod seines Sohnes angeordnet, er hatte Mörder und Männer in psychischen Extremsituationen verkörpert – aber all das waren festgelegte Rollen gewesen. Er hatte vorher seinen Text und die Noten memoriert, die Musik hatte ihn getragen und ihm geholfen, seine Figur zu finden, und eine Souffleuse stand in der Gasse und flüsterte ihm ein, wenn er einen Texthänger hatte. Das hier war etwas vollkommen anderes. Er fühlte sich, als stünde er auf einem dünnen Drahtseil, das zwischen zwei hohen Gebäuden gespannt war. Er musste ohne Unfall auf die andere Seite gelangen, und der sezierende Blick und die bohrenden Fragen des Arztes waren die Windböen und das Schwingen des Seils, die ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen suchten.
    Er bemerkte, wie ihm der Schweiß ausbrach, und dass Dr. Rados ebenfalls Notiz davon nahm. »Warm hier«, sagte Jewgenij.
    Der Arzt hob eine Braue. »Nein«, gab er zurück. »Eher etwas zu kühl. Was beunruhigt Sie so sehr?«
    Jewgenij seufzte. »Ich weiß nicht, was mich hier erwartet. Bin zum ersten Mal in der Klapsmühle.«
    Der Arzt steckte seinen Stift in die Brusttasche seines Kittels und lehnte sich zurück. »Was Sie hier erwartet …?«, begann er nachdenklich. »Nun, Sie werden einer hochmodernen Behandlung unterzogen, wie sie noch nirgendwo auf diesem Kontinent praktiziert wird. Professor Charcot ist der weltweit führende Experte auf dem Gebiet der Geisteskrankheiten und ihrer Behandlungsmethoden. Und er ist ein wirklich durch und durch guter Mensch, beinahe ein Heiliger. Sie …«, er beugte sich vor und stach mit dem Zeigefinger in Richtung Jewgenij, »Sie haben nun das Privileg, in den Genuss einer solchen Behandlung zu kommen, obwohl sie meiner Meinung nach einem solchen Abschaum wie Ihnen, dem stinkenden Bodensatz dieser Gesellschaft, nicht zusteht. Es gibt Hunderte, Tausende von Kranken, die es weit eher verdient hätten, dass man ihnen hilft. Wenn es

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