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Aethermagie

Titel: Aethermagie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Wärter, der groß und breit war wie anscheinend alle Vertreter dieses Berufsstandes. Sie starrte den anderen Mann an, der in eine feste, mit Riemen verschnürte Jacke mit überlangen Ärmeln gewickelt vor ihr stand und mit leerem Blick über sie hinwegsah.
    »329«, sprach der Wärter ihn an. »Moroni – schau, da ist die Dame, die mit dir reden möchte. Sag Guten Tag zu ihr.«
    Moroni regte sich nicht. Er stand da wie ein Felsen und aus seinem leicht geöffneten Mund hing ein Speichelfaden.
    »Er hat heute einen schlechten Tag«, erklärte der Wärter.
    Katalin räusperte sich. Sie war sich der Festigkeit ihrer Stimme nicht sicher. »Ist dies der richtige Mann? Baldo Moroni?«, fragte sie Charcot. »Ich habe ihn vor Gericht gesehen. Er ist einen guten halben Kopf kleiner als dieser hier.«
    Der Professor warf einen fragenden Blick auf Moroni, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Das ist eine Nebenwirkung«, murmelte er. »Sie wachsen alle. Massezuwachs, Sie verstehen? Manche werden dicker, manche größer, einige beides.«
    Katalin wandte ihren Blick nicht von Moroni. Er war es – und war es auch wieder nicht. Der kurz geschorene Schädel erschien ihr runder, das Gesicht fremd in seiner tumben Ausdruckslosigkeit. Er war wirklich größer und massiger als vor einigen Monaten, wenn sie ihm jetzt die Arme um den Nacken hätte legen wollen, hätte sie sich auf die Zehenspitzen stellen müssen. Sie biss die Zähne zusammen. Der Blick. Dieser trübe, glanzlose Blick!
    Katalin wandte das Gesicht ab. »Kann er mich verstehen?«, fragte sie den Professor.
    Der wedelte mit der Hand. »Reden Sie mit ihm, dann werden wir es sehen.«
    »Moroni«, sagte sie laut und zwang sich, ihm ins Gesicht zu blicken. Schlaff und aufgedunsen. Das war nicht Jewgenij! Einen Moment lang fühlte sie eine Welle der Erleichterung. Er war es nicht!
    Dann aber fiel ihr Blick auf die dünne Narbe an der Seite seines Kinns, zwischen Ohr und Hals. Sie wusste, woher diese Narbe stammte, denn der Messerhieb war für sie bestimmt gewesen und er hatte ihn abgefangen. Sie schauderte.
    »Moroni, verstehen Sie mich?«
    Keine Reaktion.
    »Er ist heute wirklich kaum ansprechbar«, sagte der Wärter. »Es gibt bessere Tage. Vielleicht kommen Sie wieder, wenn er …«
    »Wir können hier nicht den Betrieb nach Major Nagys Bedürfnissen einrichten, so leid es mir auch tut«, fuhr Professor Charcot scharf dazwischen. »Sie wollten sich ein Bild davon machen, ob dieser Mann frei irgendwo in der Stadt herumgelaufen ist. Ich denke, Sie können erkennen, dass das kaum der Fall sein dürfte. Er ist auch an seinen guten Tagen nicht in der Lage, sich selbst zu helfen.«
    Katalin wandte sich ab und rang um Fassung. Sie nickte, konnte nicht sprechen. Es stand außer Frage – der Arzt würde Jewgenij nicht ziehen lassen, nicht in diesem Zustand.
    »Danke, Grünwald«, sagte der Professor. »Sie können gehen.«
    »Einen Moment.« Katalin räusperte sich wieder. »Darf ich auch Sie nach dem Verbleib des Hilfswärters Johannsen fragen?« Zum ersten Mal sah sie den Wärter mit voller Aufmerksamkeit an. Er war nicht mehr so jung, wie seine Stimme ihr suggeriert hatte. Sein kurzes dunkles Haar lichtete sich zu einer Art Tonsur und zeigte einen grauen Schimmer. Die Fältchen in seinen Augenwinkeln und um den Mund vertieften sich, als ihre Blicke sich trafen. Er nickte leicht und seine Augen sprachen eine Warnung aus.
    Katalins Kopf war einen Augenblick lang vollkommen leer. Dann fasste sie sich und sagte: »Grünwald? Das war Ihr Name, richtig?«
    »Sehr richtig, Major.« Er nickte wieder. »Ich bin Wärter hier im Haus.«
    »Einer meiner besten Mitarbeiter«, warf der Professor ein. »Er wird in Kürze den Oberwärter-Posten auf Station D übernehmen.«
    »Wie schön«, erwiderte Katalin automatisch. Sie wandte den Blick ab und starrte auf die Riemen, die Jewgenijs Zwangsjacke verschnürten. Ihre Gedanken rasten. Was bedeutete das? Was ging hier vor?
    Sie wandte sich an Professor Charcot und reichte ihm die Hand. »Wenn ich noch Fragen habe …«
    »Können Sie mich jederzeit aufsuchen«, erwiderte der Professor zuvorkommend. Er schien ein wenig überrascht, aber auch erfreut, dass sie so plötzlich das Interesse an dem Hilfswärter und den beiden Insassen verloren hatte. »Ich begleite Sie noch hinaus.«
    Der Wärter folgte ihnen mit seinem Schützling, den anzusehen Katalin nicht übers Herz brachte. Sie ging gedankenverloren neben Charcot den Korridor entlang.
    Der Professor

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