Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Aethermagie

Titel: Aethermagie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
Vom Netzwerk:
offensichtlich noch ein sehr kindliches Salamanderwesen, das zudem die meiste Zeit in ihrer Lampe gelebt hatte und deshalb vieles nicht verstand. Horatius Tiez war also genau der Richtige, um ihre sich täglich vermehrenden Fragen zu beantworten – und ganz im Geheimen hätte sie auch durchaus gerne die Bekanntschaft mit dem Roten Milan ein wenig vertieft. Aber selbst dieser Ausflug hatte keinen Platz mehr in der Planung finden wollen, mit der ihre Stiefmutter sie in den letzten Wochen in Atem gehalten hatte.
    Und dann war da ja auch immer noch ihr Papa.
    Doktor Rados hatte mit seiner pessimistischen Vorhersage, dass dessen Gesundheitszustand sich verschlechtern werde, recht behalten. Die Maßnahmen, die dazu dienen sollten, ihren Vater zu beruhigen und seine Zustände zu mildern, erfüllten zwar ihren Zweck, aber gleichzeitig sorgten sie auch dafür, dass er den größten Teil des Tages in einem halbwachen Dämmerzustand verbrachte, in dem kaum ein klares Wort aus ihm herauszubringen war. Er verließ seine Räume nicht mehr, sondern lag in seinem Bett oder auf der Ottomane, und an Tagen, an denen er sich besser fühlte, saß er am Fenster in seinem Lieblingsfauteuil und las das »Interessante Blatt« – eine Zeitung, für die er früher stets nur Spott übrig gehabt hatte.
    Kato hatte sich angewöhnt, am frühen Abend zu ihm zu gehen, weil das die Stunde war, in der sie ein wenig mit ihm plaudern konnte. Die letzte Gabe der beruhigenden Tinktur hatte er zum Mittag zu sich genommen, die nächste würde er vor dem Schlafengehen bekommen, und zu dieser Stunde, wenn die Sonne schon die Wipfel der Bäume streifte und rötliches Abendlicht seine Räume erfüllte, war er einigermaßen klar und freute sich, wenn Kato ihm Gesellschaft leistete. Sie las ihm dann vor, spielte eine Partie Dame mit ihm oder erzählte ihm, was sie am Tag alles erlebt und getan hatte.
    Kato seufzte und legte das Gesicht in die Hände. Sie wäre gerne auf ihr Zimmer gegangen, um sich zu fassen, aber dort war die Frau Mama mit zwei Dienstmädchen damit beschäftigt, Katos Wäsche zu sortieren und einzupacken, was sie ins Pensionat mitnehmen sollte.
    Wenn sie sich den Berg an Gepäckstücken ansah, der sich hier schon türmte, fragte sie sich allerdings, was die Vorsteherin des Institutes sagen würde, wenn all das Zeug bei ihr vor der Tür abgeladen wurde. Das Gepäck wurde morgen mit einem Wagen vorausgeschickt, sie selbst sollte am Anfang der nächsten Woche mit dem Dampfzug hinterherreisen.
    Nächste Woche. Sie war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, dieses Haus zu verlassen, das ihr still und traurig wie ein Sterbezimmer erschien, seit ihr Papa so krank war, und dem Gefühl, dass sie ihn gerade jetzt nicht im Stich lassen durfte.
    Sie hätte gerne mit jemandem darüber gesprochen, aber wie hätte sie erklären sollen, wie ganz und gar falsch und unverständlich sie es fand, dass ihr Vater seinen Verstand über etwas verlor, das doch ganz offensichtlich kein Truggebilde und keine Wahnvorstellung war, sondern die reine, lautere Wahrheit? Sie selbst redete jeden Tag mit Calander und manchmal auch mit einem der anderen Salamander, die in den Lampen des Hauses eingesperrt waren. Noch hatte sie es nicht gewagt, sie alle einfach freizulassen, aber je mehr sie sich mit den Ætherwesen beschäftigte, desto klarer wurde ihr, dass den Plasmateufeln ein großes, beschämendes Unrecht angetan wurde. Und nicht nur ihnen – im Keller waren die großen Behältnisse untergebracht, in denen Pneumageister eingesperrt waren. Kato betrat diese Räume nur selten, weil sie den traurigen Gesang der Sylphen nicht ertragen konnte. Und da waren auch die Bottiche der Undinen, die gemeinsam mit den Sylphen und den Salamandern die Heizung besorgten. Sie alle waren gefesselt durch silberne Käfige – sie zu befreien hätte bedeutet, dass das Haus ohne Licht und Wärme sein würde. Jetzt, im Sommer, war das vielleicht nicht schlimm. Aber wie würde es im eisig kalten Winter sein?
    Sie wechselte ihre Haltung, denn es war doch arg unbequem, längere Zeit auf einer Reisekiste zu hocken. Dann stützte sie die Ellbogen auf die Knie und starrte wieder auf ihre Fußspitzen. Dass sie über die Frau Mama sinnierte und das Gesicht der Vorsteherin beim Anblick ihres Gepäcks, über Calander und die Elementarwesen im Haus, über Reisevorbereitungen und den bevorstehenden Maskenball – all das war doch nur der Versuch, nicht über das nachzudenken, was gerade eben im Zimmer

Weitere Kostenlose Bücher