Aethermagie
Nachtvogels.
»Papa, hör auf«, rief Kato und wehrte seine Hände ab, deren Schläge nun fester und schmerzhafter fielen. »Hör auf, du tust mir weh!« Sie schob sich von ihm fort, schützte ihr Gesicht vor seinen Klapsen, wehrte seine greifenden Finger ab, die sie festhalten wollten, floh vor ihm zur Tür.
Sie hatte sich in den hinteren Flur gerettet, zwischen die aufgestapelten Reisekisten, und gewartet, bis ihre Knie nicht mehr zitterten. Es hatte längst zum Abendessen geläutet, aber Kato war einfach sitzen geblieben, zu aufgewühlt, um sich mit ihrer Stiefmutter an den Tisch setzen zu können, wo der leere Stuhl ihres Vaters sie nur noch mehr an das erinnern würde, was geschehen war und was sie verloren hatte.
Kato biss sich auf die Lippe. Der Gedanke an den Maskenball war ihr verleidet. Wie sollte sie Vergnügen daran finden, wenn sie ihren Papa zu Hause wusste, eingesperrt in sein Zimmer und voller Angst von Wesen fantasierend, die doch ganz real und nicht im Mindesten beängstigend waren?
Sie hörte, wie eins der Mädchen ihren Namen rief: »Baronesse von Mayenburg! Gnädiges Fräulein!«, und duckte sich in den Schatten. Sie hatte keinen Hunger, wollte gleich, wenn die Tür zum Esszimmer sich geschlossen hatte, hinauf in ihr Zimmer huschen und ihrem Tagebuch ihr Leid klagen.
Jemand betätigte den Türklopfer, dessen dumpfes Donnern durch die Eingangshalle rollte. Besuch um diese Zeit? Das war höchst ungewöhnlich und nicht besonders höflich.
Kato verließ ihr Versteck, um im Durchgang zwischen der hinteren Diele und der Halle hinter der Tür verborgen zu beobachten, wer dort zu dieser Stunde um Einlass bat.
Einer der Diener öffnete, murmelte, ließ eintreten. Kato reckte den Hals. Der Mann, der dem Diener gerade seinen Hut und seine Handschuhe überreichte, war ihr vollkommen fremd. Er trug einen dunklen Paletot, glattes, straff zurückgekämmtes Haar und einen Ziegenbart. Sein Gesicht war spitz wie sein Bart, bleich und hager, und seine Blicke huschten wieselflink durch die Halle, während er seine Karte auf das Tablett legte. Der Diener verschwand mit der Karte durch die Doppeltür, und der späte Gast wartete und taxierte die Halle, die geschwungene Treppe ins Obergeschoss, die Bilder, Blumen und Vasen, den großen silbergefassten Spiegel, die Schale mit Wachsobst, die gemusterten Bodenfliesen, den Lüster und den Stuck an der Decke …
Kato zog hastig den Kopf zurück, als der wandernde Blick auch sie zu erfassen drohte. Sie hatte das unbehagliche Gefühl, dass der Mann nun in der Lage war, eine genaue Auflistung sämtlicher Einrichtungsgegenstände und einen detaillierten Lageplan aller Türen, Fenster, Treppenaufgänge und Ein- und Ausgänge anfertigen zu können.
Die Doppeltür öffnete sich, und der Diener bedeutete dem Fremden, er möge folgen. Kato sah zu, wie der Mann in seinem dunklen Paletot hinter dem Diener durch die Tür ging und diese sich hinter ihm schloss.
Kato rieb sich mit den Händen über die Arme. Nun konnte sie nach oben in ihr Zimmer gehen und niemand würde sich darum scheren. Aber der fremde Mann hatte etwas Beunruhigendes an sich gehabt. Sie wollte wissen, wer er war und was er wollte. War er am Ende gekommen, um Papa zu holen?
Kurz entschlossen fuhr sie sich vor dem großen Spiegel ordnend über ihre Frisur, steckte einige Haarnadeln fest, die sich gelöst hatten, und folgte dem Mann ins Empfangszimmer.
»Katharina«, rief ihre Stiefmutter erstaunt und ein wenig befremdet aus, »was möchtest du?«
Sie stand vor den Samtvorhängen, mit denen die tiefen Fenster abends verhüllt wurden, und hielt die Visitenkarte des Fremden in den Fingern. Der Mann stand in devoter Haltung ihr gegenüber, aber der intensive Blick, mit dem er nun Kato betrachtete, war alles andere als unterwürfig.
»Um Vergebung, Frau Mama«, sagte Kato und reckte das Kinn, »mir war, als wäre jemand eingetroffen und ich wollte sehen, wer uns zu so unziemlicher Stunde die Aufwartung macht.« Das klang spitz und ein wenig schnippisch. Kato sah, dass die Freifrau und der Fremde einen Blick wechselten.
»Das ist nichts, was dich interessieren muss …«, begann Adelaïde, aber der Mann fiel ihr ins Wort: »Lassen Sie die junge Dame doch ruhig an unserem Gespräch teilhaben, Frau Baronin.« Er hatte eine angenehme Stimme und sprach mit dem harten Akzent des Transleithaniers. Er wandte sich zu Kato und neigte den Kopf. »Drago Pejić«, sagte er. »Kommissär der Vierten Abteilung der eigenen
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