Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
manchmal einfach zu dumm, um die gesellschaftlichen Probleme zu erfassen.
„Was gibt es denn da zu forschen?”, sägte eine ältere rothaarige Frau mit unangenehmer Stimme durch Annabelles Gedanken. „Einige verändern sich, andere nicht. Das ist Gottes Wille, und da gibt es nichts zu deuteln.” Die Dame wischte sich unbewusst ihre Hände länger an der Serviette ab, als notwendig. Annabelle wusste, dass diese Frau ihre Anwesenheit hier nicht billigte.
„Ich kann nicht glauben, dass Gott alle diese Menschen bestrafen will”, erwiderte eine andere in einem weinerlichen Tonfall. „Liebes Fräulein Rosenherz, ich will ihnen ja nicht zu nahe treten”, was natürlich genau das Gegenteil bedeutete, auch wenn es so naiv und fast mütterlich gesagt wurde, „aber ich kann nicht erkennen, dass an Ihnen etwas Ungewöhnliches oder Verabscheuungswürdiges ist. Sie ist doch ein Kind Gottes, wie wir alle.” Fächer wedelten hektisch und Tassen klirrten auf Untertassen. Annabelle studierte einen Moment lang das Blumenmuster auf dem Porzellan und sagte dann: „Ich danke Ihnen für diese Worte. Tatsächlich arbeitet das Amt gerade an einer Richtlinie, die eine größere Transparenz in die Angelegenheit bringen soll.”
Johanna runzelte leicht die Stirn und stellte dann klar: „Sie wollen, dass Veränderungen in den Papieren eingetragen werden müssen. So werden alle registriert.”
„Was nutzt mir das?”, sagte eine dicke Matrone mürrisch. „Ich kann ja nicht immer erst nach Papieren fragen. Ich hasse den Gedanken, dass meine Haarschneiderin oder meine Masseuse so sein könnte.” Durch viele Ringe zu knackwurstartigen Gebilden aufgequollene Finger zeigten auf Annabelles Hände.
„Ich habe das Fräulein Rosenherz nicht eingeladen, damit sie hier verunglimpft wird”, sagte die Gastgeberin hektisch. „Ich möchte ja gerne meinen Beitrag leisten”, sagte sie zu Annabelle gewandt, ”aber es ist so schwierig! Man weiß ja nicht, was richtig, und was falsch ist.”
Das weiß ich sehr wohl, dachte Annabelle, aber sie beherrschte sich. Das hier war nicht das erste Mal, und wenn ihr Patenonkel sie nicht so sehr darum gebeten hätte, dann käme sie nie auf den Gedanken, solche Einladungen anzunehmen. Diese Großbürgerinnen hatten sie vorher nicht eingeladen, sie könnten ihr eigentlich jetzt auch gestohlen bleiben! Aber sie musste ein Beispiel, ein Bindeglied, sein. Annabelle hatte noch viele Pläne, einer davon war ein Waisenhaus, für Kinder, deren Eltern sich nicht mehr um sie kümmern konnten, weil sie sich so vollständig in etwas anderes verwandelt hatten, dass sie dem Menschlichen fremd geworden waren. Aber so ein Waisenhaus war teuer, und sie konnte das nicht allein bezahlen. Also zog sie immer wieder aus, um Sympathien zu gewinnen, auch wenn es schwer war.
„Sie könnten zum Beispiel …”, begann Annabelle ihre Rede, die sie schon einige Male gehalten hatte. Meist hatte sie Glück, und ihre Worte über die armen Waisenkinder fanden fruchtbaren Boden. Es macht sich immer gut, wenn man behaupten konnte, man habe etwas für Kinder getan, denn Kinder waren unschuldig. Da vergaßen die Damen selbst die flammenden Reden der Gottesmänner und spendeten gerne.
* * *
Paul justierte die Linse vor seinem rechten Auge und betrachtete die Vase genauer. Er hatte sie zunächst für eine billige Fälschung gehalten, für etwas, was man den Touristen auf dem Markt in Athen anbietet. Aber langsam war er davon überzeugt, möglicherweise doch eine echte Vase mit einer Darstellung der olympischen Spiele in den Händen zu halten. Unglaublich. Er war immer wieder von Neuem beeindruckt. Der Professor hatte eine wirklich einzigartige Sammlung!
Er drehte die Keramik in den Händen, als er Schritte kommen hörte. Die Tür zum Wohnzimmer ging auf und er konnte durch die Linsen vor seinem Auge, die zur Vergrößerung dienten, nur einen verschwommenen Schemen erkennen. Der Schemen hatte dunkle Haare, es konnte also nur Annabelle sein.
„Sieh mal, dein Vater hat tatsächlich eine echte griechische Tonvase hier, was sagt denn dieses Datum …, ich kann es nicht genau lesen, warte mal.”
„Ich schätze sie auf 500 vor Christus”, sagte eine ihm unbekannte weibliche Stimme mit einem seltsamen Akzent. Er stutzte und schob die Brille mit den Optiken auf seine Stirn.
Vor ihm stand eine Frau – ja, unübersehbar. Aber es war nicht Annabelle. Sie hatte rabenschwarze Haare, die sie streng zu einem Knoten am Hinterkopf
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