Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
zusammengebunden hatte. Darauf saß noch ein kleiner Reisehut. Ihr Kostüm war streng und formal geschnitten, aus schwerer dunkelbrauner Wolle. Sie musste schwitzen. Aber der Schnitt konnte nicht die ausgeprägten weiblichen Konturen verbergen, die auch Paul nicht entgingen. Er versuchte sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren, aber auch das war voller Dinge, an denen ein Mann hängen bleiben konnte: ein perfekt geschnittener Mund, leicht schräg gestellte Mandelaugen in einem so dunklen Braun, dass sie fast schwarz erschienen und ein milchweißer Teint.
„Wer sind Sie?”, fragte er verwirrt.
„Alexandra Sorokin.”
Der Name sagte ihm erst nichts, aber dann fiel es ihm ein: „Sascha!”
Sie zog irritiert die Augenbrauen hoch.
„Entschuldigung! Ich dachte, Sie wären ein Mann. Ihr Vater sprach in seinem Brief von einem Sascha.”
Sie nickte: „Meint Vater nennt mich so. Sascha ist eine Abkürzung.” Die Raumtemperatur schien zu sinken.
„Ich muss mich noch einmal entschuldigen”, entfuhr es Paul, der schnell die Brille abnahm und auf den Tisch legte. Dann stellte er auch die Vase daneben und wandte sich der Frau zu.
„Ich bin Paul Falkenberg.” Er streckte die Hand aus und verbeugte sich leicht. „Сердечно приветствую.”
„Ich bitte Sie, mit mir nur Deutsch zu sprechen”, sagte das Fräulein streng. „Ich möchte die Sprache lernen.” Noch ein paar Grad weniger und es würde schneien hier drin.
Die Tür ging nochmals auf und eine etwas atemlose Frau Barbara betrat den Raum: „Es tut mir leid, aber ich musste den Kuchen aus dem Ofen holen, und Frau Schreiber ist auf dem Markt.”
Paul lächelte sie an: „Das macht nichts. Haben Sie sich schon vorgestellt?”
Frau Barbara nahm die Frau dann mit, um ihr das Zimmer zu zeigen, welches man ihr zugedacht hatte.
Paul rieb sich die Stirn und ging auf die Terrasse. Er konnte sich noch nicht entscheiden, was er von diesem Vorfall halten sollte. War es gut, noch eine Frau im Haus zu haben? Er war hier eindeutig in der Minderzahl. Genauso eindeutig war Sascha Sorokin auch noch eine wirklich schöne Frau. Das konnte doch nur Ärger bedeuten!?
* * *
Die Standuhr tickte die Sekunden erbarmungslos weg. Paul zog seine Taschenuhr hervor und stellte zu seinem Leidwesen fest, dass sie schon wieder stehen geblieben war. Er hatte die Uhr aus einem Nachlass und sie schien die Modifikationen, die er vorgenommen hatte, nicht zu vertragen. Er suchte unwillkürlich nach seinem Schraubenzieher.
Heimlich wagte er einen Blick auf seine Tischgenossin. Alexandra Sorokin saß kerzengerade und regungslos auf ihrem Platz. Sie trug ein hochgeschlossenes Kleid, die Haare waren immer noch zu einem strengen Knoten gebunden. Musste Annabelle ausgerechnet heute eine Einladung wahrnehmen? Was sollte er mit dieser Frau reden?
„Was war denn Ihre Lieblingsvorlesung an der Universität?”, versuchte Paul Konversation zu machen.
Die schwarzen Augen richteten sich auf ihn und er hatte das Gefühl, durchbohrt zu werden.
„Ich versuche mich nicht von meinen Gefühlen leiten zu lassen”, sagte sie sorgfältig. „Daher kann ich diese Frage nicht beantworten.” Sie sah kurz auf ihre Hände und sagte dann: „Die Beschäftigung mit Ikonografie fällt mir besonders leicht.”
Paul nickte zustimmend: „Ahh, ja, Ikonografie … nach Warburg oder nach Panofsky?” Er hatte doch immer einen Schraubenzieher in seiner Brusttasche? Aber seine Finger ertasteten nur ein Loch im Stoff.
„Wir haben die Systematik von Warburg gelernt”, bekam er zur Antwort.
„Großartige Idee, die Methoden der Naturwissenschaften auch in der Katalogisierung der schönen Künste zu verwenden”, sagte Paul. Der Schraubenzieher hatte sich ins Innenfutter seines Sakkos verirrt. Paul versuchte, ihn nach oben zu drücken und sagte abwesend: „Ich hatte die Ehre ihn in Hamburg kennenzulernen. Er ist ein Genie, seine Sammlung ...” Er hielt inne, da Fräulein Sorokin einen Löffel fallen ließ.
„Sie haben Warburg kennengelernt? Persönlich.”
Paul nickte verwirrt: „Nun, er weilt ja in Hamburg und hat an meiner Universität eine Vorlesung gehalten.” Er fummelte das Werkzeug durch das Loch in der Brusttasche und öffnete das Gehäuse der Uhr. Das Fräulein schien plötzlich ganz aufgeregt und bekam rote Wangen. „Erzählen Sie mir von ihm”, forderte sie ihn auf.
Paul hielt inne. Das tat er gerne. Er schraubte schnell das Gehäuse wieder zu und erzählte. Sie redeten und
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