Aetherresonanz (Aetherwelt) (German Edition)
war die Sorglosigkeit, mit der sein Vater es dem Fräulein mitteilte. Er verschwendete keinen Gedanken daran, ob Valentin nicht lieber einen anderen, besseren Eindruck bei Annabelle Rosenherz machen würde. Schließlich war sie ja nur verlobt, nicht verheiratet. Es gab doch immerhin die Möglichkeit– aber nach dem, was sein Vater da gesagt hatte, musste Valentin sich anstrengen, um ihre Gunst zu gewinnen. Da war es von Vorteil, dass sie hier einige Zeit verbringen würde. Er hatte seine Mittel und Wege, dafür zu sorgen, dass sie nicht schon morgen wieder abreiste.
Er schloss die Augen und sah sie vor sich: Die Halbwüchsige und die junge Frau, die Bilder von ihr überlagerten sich. Er hatte gesehen, dass sie schwitzte, aber sie hatte ganz gerade gesessen und seinem Vater aufmerksam zugehört. Ihr Gesicht war erwachsen geworden, die Wangenknochen modellierter, nachdem der Jugendspeck weggeschmolzen war, den sie zuletzt noch hatte. Aber sie hatte immer noch etwas Kindliches an sich, etwas Reines, Freies, das liebte er besonders an ihr. Er hatte ihre Nackenlinie betrachtet, und stellte sich nun vor, sie dort zu berühren. Vom Haaransatz mit den kleinen, von der Feuchtigkeit gekräuselten Härchen bis zu den Schultern, die von der Spitze ihres Kleides verdeckt wurden.
Er erinnerte sich noch genau an das letzte Mal, als sie ihn gemeinsam mit ihrem Vater besucht hatte. Sie war wie ein Fohlen gewesen, dünn, lange Gliedmaßen und Sommersprossen auf der Stupsnase. Ihre Zöpfe waren über ihren Rücken getanzt, wenn sie über die Wiesen hinter dem Haus gerannt war; er hatte ihre braunen Waden sehen können, wenn sie in die Flussauen gewatet war, um irgendwelches Getier zu fangen. Ihren Rock hochgerafft und in den Bund gesteckt, war sie entzückt auflachend durch das Wasser gestakst und hatte nach Fröschen und Molchen gegrapscht.
Manchmal hatten sie sich auch nur ins hohe Gras gelegt und in den Himmel gestarrt. Sie hatte ihm Geschichten erzählt, von ihren Reisen, von den Erlebnissen mit ihrem Vater, von den fernen Ländern und all den fantastischen Dingen, die sie erlebt hatte. Er hatte ihr zugehört und nichts dazu beitragen können. Schon damals hatte sein Vater nichts von der Welt draußen wissen wollen, sondern sich nur im Betrieb aufgehalten.
Annabelle hatte Leben und die weite Welt bedeutet, eine Ahnung von Freiheit, der Geruch von Essen, wenn man hungrig ist. Aber sie war wie die leichte Bräune, die man nach einem intensiven Sonnentag behält. Man sieht genau die Ränder und schnell verblasst sie, bis sie nur noch eine vage Erinnerung ist.
Nun war Annabelle wieder hier – erwachsen geworden, eine Frau. Gerundet an den richtigen Stellen, aber immer noch so leicht und lebendig, mit strahlenden Augen und diesem hellen Lachen. Er hatte sie beobachtet, wie sie auf seinen Vater und das Haus reagiert hatte. Sie war wie ein Vogel, und sie würde immer wieder gegen die Scheiben flattern, wenn er ihr nicht zeigte, wo ihr Käfig war. Wenn sie das verstanden hatte, dann wäre sie sicher und würde für ihn singen, jeden Tag, wann er wollte. Aber zunächst musste er den Käfig verschließen. Wenn sie ihm dann gehörte, war alles möglich, auch Freiheit, die sie dann gemeinsam genießen konnten.
* * *
„Wie stellen Sie sich denn eine Zusammenarbeit vor?”, fragte Friedrich den Kommissar, als die Besprechung wieder aufgenommen wurde.
„Um das zu erarbeiten, bin ich hier”, sagte der Beamte.
Paul rieb sich die Stirn. Das Ganze sah nach noch mehr Arbeit aus und er sagte müde: „Unsere Kapazitäten sind wie folgt: Wir erarbeiten hier in den Büros gerade ein System, die weltweite Ætherforschung zu bündeln, zu archivieren und mit einem Katalog zugänglich zu machen. Gleichzeitig haben wir eine Exekutive Einheit, die sich mit den aktuellen Vorkommnissen beschäftigt – geleitet von Oberleutnant Friedrich Falkenberg. Nominell ist diese Einheit allerdings immer noch dem Militär zugehörig. Unsere Forschungseinrichtungen im Adlerhorst sind dem Amt verpflichtet, und die Stiftung für Ætheropfer ist privat.
Niemand von uns ist kriminalistisch ausgebildet. Sie können unsere Kapazitäten gerne nutzen, aber ich wüsste sonst nicht, wie ich Ihnen helfen kann.”
Der Kommissar sah ihn lange an. Seine schweren Augenlider vermittelten den Eindruck von Schläfrigkeit, und Paul wurde ungeduldig.
„Es ist interessant, dass Sie das sagen”, erklärte der Polizist endlich. „Ich dachte bei meinem Anliegen zuerst an Sie und
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