Affaere in Washington
bedanken, überlegte Shelby. Verflixt noch mal, das passt mir gar nicht.
Gedankenverloren biss sie in die nächste Erdbeere. Der Geschmack nach Sonne, Süße und Natur erinnerte sie völlig unnötigerweise an Alans Kuss.
Warum hat er mir nicht einfach Blumen geschickt? Ein Strauß ist unverbindlich, den kann man zur Kenntnis nehmen und wieder vergessen. Aber diese köstlichen Früchte sind ein individuelles Geschenk. Was soll ich mit einem Mann anfangen, der mir zum Frühstück einen Korb mit taufrischen Erdbeeren offeriert? Es ist von ihm reine Berechnung gewesen, überlegte sie weiter. Er weiß ganz genau, dass ich eine solch wunderhübsche Aufmerksamkeit nicht einfach ignorieren kann. Kennt er mich schon so gut? Das passt mir eigentlich gar nicht. Aber schlau ist er, das muss man ihm lassen.
Sie hob den offenen Korb auf und trug ihn zum Telefon.
Alan hatte ausgerechnet, dass ihm ungefähr fünfzehn Minuten verblieben, bis der Senat wieder einberufen würde. In dieser Pause wollte er die vorgeschlagenen Etatkürzungen noch einmal überfliegen. Bei einem Defizit von fast zweihundert Milliarden mussten selbstverständlich viele Ausgaben gestrichen werden. Aber im Bildungsbereich durfte man nach seiner Meinung nichts mehr streichen. Der Kongress hatte die Haushaltsbeschränkungen schon teilweise zurückgewiesen. Alan war sicher, auch für seine Argumente bezüglich des Bildungswesens genügend Unterstützung zu finden.
Mit seinen Gedanken war er jedoch nicht hundertprozentig bei der Sache. Obwohl seit der letzten Präsidentschaftswahl erst ein knappes Jahr vergangen war, hatte seine Partei deutlich durchblicken lassen, dass sich alle Hoffnungen und Wünsche für die nächste Dekade auf seine Person konzentrierten. War das auch sein Ziel? Wollte er wirklich so hoch hinaus?
Er war kein Narr und ganz bestimmt nicht ohne Ehrgeiz. Aber seine Pläne erstreckten sich auf einen späteren Zeitraum. In fünfzehn oder zwanzig Jahren hätte er seine Stunde kommen sehen. Wenn die Partei ihn nun schon früher in den Vordergrund drängen wollte, so war das ein Schritt, der sorgfältig überlegt werden musste.
Sein Vater allerdings war schon längst davon überzeugt, dass sein ältester Sohn bei der nächsten Präsidentschaftswahl kandidieren – und gewinnen würde! Daniel MacGregor hielt die Zügel des Familiengeschehens fest in der Hand, und seine Kinder ließen ihm die Illusion, dass er über ihren Lebensweg bestimmen durfte. Doch das war beileibe nicht immer einfach. Alan dachte dankbar an die Zeit im vergangenen Jahr, als seine Schwester das erste Baby ankündigte und sein Bruder Caine sich entschloss zu heiraten. Dadurch war der Druck der väterlichen Fürsorge vorübergehend spürbar von Alan genommen worden. Aber diese schöne Zeit würde nur zu bald vorüber sein, und der nächste Anruf seines alten Herrn lag sozusagen schon in der Luft.
»Deine Mutter vermisst dich. Sie macht sich Sorgen deinetwegen. Wann nimmst du dir endlich wieder die Zeit für einen Besuch? Warum bist du noch nicht verheiratet? Deine Schwester kann die MacGregor-Linie nicht allein weiterführen!«
Solche und ähnliche Sprüche musste er sich anhören, wenn er mit seinem Vater telefonierte. Bisher hatte sich Alan immer über die väterlichen Wünsche amüsiert und nicht im Traum daran gedacht, sie ihm zu erfüllen. Aber war das wirklich so von der Hand zu weisen?
Warum ließ ihn die Frau, der er erst vor wenigen Tagen begegnet war, plötzlich an Eheschließung und Kinder denken? Er kannte sie kaum, sie entsprach nicht einmal dem Typ weiblicher Wesen, die ihm bisher gefallen hatten. Shelby war nicht glatt und kühl. Sie würde sich nicht einfach unterordnen oder eine bequeme Gastgeberin für offizielle Staatsempfänge abgeben. Sie würde nicht liebenswürdig sein und ganz bestimmt nicht taktvoll. Und – Alan lächelte vor sich hin – vorläufig lehnte sie sogar ab, mit ihm zum Essen zu gehen.
Eine Abwechslung? Das wäre sie ganz gewiss. Etwas Neues war immer reizvoll. Doch auch das konnte nicht der Grund dafür sein, dass seine Gedanken immer wieder zu ihr wanderten. Shelby war ein Geheimnis, und Geheimnissen auf die Spur zu kommen war von jeher eines seiner Lieblingsspiele. In diesem Falle aber gab es eine recht einfache Erklärung: Sie besaß den Schwung ihrer Jugend, die Geschicklichkeit einer Künstlerin und das Feuer einer Rebellin. Sie war nicht maßvoll, sondern leidenschaftlich. Ihre Augen erinnerten an einen nebligen Sommerabend,
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