Affaere in Washington
mich sofort durchschauen. Shelby seufzte. Er wüsste genau, dass ich Kummer habe. Obgleich er sein eigenes Privatleben hütet wie einen kostbaren Schatz, wird er so lange bohren, bis ich ihm mein Problem erzähle. Dann schon eher ein Gespräch mit Mom, wenn ich überhaupt reden will. Grant würde mich nämlich nur allzu gut verstehen …
Also in Georgetown bleiben und mich weiter quälen. Oder aber mit dem Wagen ins Blaue fahren? An die Küste vielleicht oder zum Skyline Drive nach Virginia? Tapetenwechsel ist jedenfalls gut. Auf geht’s!
Shelby sah sich gerade nach dem Schild mit der Aufschrift »Geschlossen« um, da öffnete sich die Tür, und eine weibliche Gestalt in gelben Gummistiefeln und Regenmantel betrat den Laden. Eine Wolke feuchtkalter Luft begleitete sie.
»Scheußliches Wetter!«, sagte die Kundin freundlich.
»Das Allerletzte«, stimmte Shelby zu.
Sie musste ihre Ungeduld zügeln, das war nicht einfach. Noch vor zehn Minuten wäre sie über jede Unterbrechung glücklich gewesen, hätte am liebsten Leute mit Gewalt hereingezerrt. »Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
»Ich seh mich erst einmal um.«
Natürlich! dachte Shelby, und ihr Lächeln wurde etwas frostig. Bis sie sich umgesehen hat, könnte ich schon halbwegs an einem sonnigen Strand sein. Soll ich ihr zehn Minuten geben? »Lassen Sie sich nicht stören«, sagte sie stattdessen. »Es hat keine Eile.«
»Ich hörte von Ihnen durch meine Nachbarin«, erzählte die Fremde. »Sie hat hier ein Kaffeegeschirr mit hellblauem Stiefmütterchen-Muster gekauft.«
»Ja, ich erinnere mich. Ich mache keine Duplikate, aber ich habe eins mit einem ähnlichen Muster, falls Sie sich für ein Kaffeeservice interessieren.« Shelby überlegte angestrengt, in welchen Schrank Kyle das betreffende Service gestellt hatte.
»Wegen eines Kaffeegeschirrs bin ich gar nicht gekommen«, fuhr die Dame fort. »Die Kunstfertigkeit Ihrer Arbeiten hat es mir angetan.«
Shelby wünschte, die Kundin würde sich etwas aussuchen und gehen. Oder nur gehen – jedenfalls sollte sie die Ladentür von außen schließen. »Ich habe meine Töpferscheibe hinten in der Werkstatt, dort kann ich auch brennen und glasieren«, sagte sie und dachte: Hoffentlich will sie sich nicht auch noch da umsehen!
Die Kundin hockte vor einer Urne und betrachtete sie genau. »Verwenden Sie gelegentlich Gussformen?«, erkundigte sie sich.
»Nur selten.« Shelby trat von einem Fuß auf den anderen. »Bei dem Stier zum Beispiel oder dem Zwerg daneben. Aber meine Scheibe ist mir lieber.«
»Sie wissen sicher selbst, dass Sie sehr talentiert und enorm tüchtig sind.« Die Besucherin war ziemlich jung, blond und sehr sympathisch.
»Wenn man Spaß an dieser Arbeit hat, fällt sie einem nicht schwer.« Shelby wurde zusehends freundlicher.
»Ich weiß das, ich bin nämlich Innenarchitektin.« Sie zog eine Karte heraus und legte sie vor Shelby auf den Ladentisch: Maureen Francis, Innenausstattungen. »Augenblicklich richte ich mich gerade selbst ein. Ich möchte diesen Topf kaufen, die Urne dort und die große Vase daneben.« Sie deutete mit dem Finger auf die einzelnen Stücke. »Kann ich Ihnen eine Anzahlung geben, und Sie heben mir die Sachen bis Montag auf? Es ist mir zu mühsam, sie bei diesem Wetter herumzuschleppen.«
»Selbstverständlich. Ich lasse alles einpacken, und Sie können es abholen, wenn es Ihnen passt.«
»Fein.« Maureen Francis schrieb einen Scheck aus. »Wir werden bestimmt noch mehr Geschäfte zusammen machen. Ich komme von Chicago hierher, weil ich einige interessante Aufträge habe.«
Shelby vergaß ihre Reisepläne, die Fremde gefiel ihr. »Sie sind selbstständig?«
»Ja, neuerdings, nachdem ich zehn Jahre bei einer Firma tätig gewesen bin. Ich wollte den Sprung wagen.«
Während Shelby die Quittung ausfüllte, erkundigte sie sich frei heraus: »Können Sie etwas?«
Maureen stutzte, lachte und entgegnete: »Wesentlich mehr als alle anderen zusammen.«
Sie ist wirklich nett, dachte Shelby, und sie hat Humor. Spontan, wie es ihre Art war, schrieb sie Myras Namen und Adresse auf ein Blatt Papier. »Wenn Ihnen jemand behilflich sein kann, dann ist es Mrs. Ditmeyer«, sagte sie, während sie Maureen Francis den Zettel gab. »Sie weiß immer, wer sich neu einrichten will. Sagen Sie, dass ich Sie geschickt habe. Prozente brauchen Sie ihr nicht zu zahlen, wenn sie Ihnen Aufträge vermittelt, aber vielleicht müssen Sie ihr Ihre Lebensgeschichte erzählen. Myra ist eine wunderbare
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