AFFÄREN, DIE DIE WELT BEWEGTEN
falsch zitiert. Im Original schreibt der Philosoph: „‚Gib mir, Weib, deine kleine Wahrheit!‘, sagte ich. Und also sprach das alte Weiblein: ‚Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!‘“ Margherita brüstet sich in einen Brief, den sie 1913 an einen Freund schreibt, sie habe auf Mussolinis Unverschämtheit mit einem anderen Nietzsche-Zitat geantwortet. „Die Macht der schönen Frauen wird dadurch gestärkt, dass sie sich ihrer physischen Perfektion bewusst sind.“ Die Schöne und das Biest.
So beginnt eine Affäre, die zwei Jahrzehnte währen sollte. Margherita wird für Mussolini viel mehr als Geliebte und sexuelle Zerstreuung sein. Die jüdische Intellektuelle beeinflusst die Kulturpolitik, ist Imageberaterin und Biografin des späteren Faschistenführers. Sie bringt ihm Manieren bei und interessiert die junge Garde der italienischen Intellektuellen für die Pläne des „Duce“. Viele Künstler erliegen dem brutalen Charme und dem Charisma des Volks(ver)führers und stellen sich in den Dienst der neuen Bewegung.
Doch noch ist es nicht so weit. Noch ringen in Italien die gesellschaftlichen Kräfte um die außenpolitische Positionierung des Königreichs. Nach dem Mord am österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo, der zum Anlass – nicht zur Ursache – des Ersten Weltkriegs, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, werden wird, kämpft Italien um eine klare Haltung. Obwohl dazu vertraglich verpflichtet, vermeidet Italien den Kriegseintritt an der Seite der Mittelmächte, vorerst bleibt der Staat neutral. Doch das Werben der Entente um Italien wird immer dringlicher. Und die Kriegsbegeisterung der italienischen Intellektuellen treibt auch besonnene Politiker vor sich her. Die Linke wird gespalten, noch halten die Sozialisten an der Neutralität fest. Benito Mussolini schreibt unmittelbar vor Kriegsbeginn einen Brandartikel mit dem Titel „Nieder mit dem Krieg“. „Wenn Italien sich nicht ins äußerste Verderben bringen will, dann darf es nur eine Stellung einnehmen: absolute Neutralität.“ Unter dem Druck der aufgeheizten Stimmung im Volk ändert Mussolini in den ersten Kriegsmonaten seine Meinung. Der Populist hat längst Witterung aufgenommen und beginnt mit den Wölfen zu heulen, die es nach Kriegsabenteuer und Blut lüstet. Das sozialistische Parteikomitee droht Mussolini mit der Entlassung. Der hat längst seine Entscheidung getroffen. Er gründet eine neue Zeitung, die er großsprecherisch „Il Popolo d’Italia“ nennt und die schon in der ersten Ausgabe die Jugend Italiens unter dem Titel „Kühnheit“ zum Kriegsdienst auffordert. Das Geld für die Zeitungsgründung kommt aus Frankreich, aber nicht nur. Erst jüngst veröffentlichte Dokumente belegen, dass Mussolini ab 1917 auch auf der Gehaltsliste des britischen Geheimdienstes stand, der ihm ein wöchentliches Honorar von damals beachtlichen hundert Pfund auszahlen ließ. Der radikale Sozialist Mussolini vertritt ab sofort die Interessen seiner Geldgeber. In reißerischen Schlagzeilen fordert er den Kriegseintritt Italiens.
Auch Mussolinis Geliebte Margherita Sarfatti gerät in den Kriegstaumel. Ihr 15-jähriger Sohn Roberto will freiwillig in den Kampf ziehen. Die Mutter verhindert das vorerst, zum Sterben muss man mindestens 18 Jahre alt sein. Roberto fleht Mussolini an, der organisiert ihm eine ärztliche Bescheinigung und einen anderen Namen. Das Kind heißt jetzt Alfonso und ist laut Attest alt genug, die Uniform tragen zu dürfen. Er flieht von zu Hause unter die italienischen Fahnen. Der Schwindel fliegt auf. Roberto wird wieder aus der Armee entlassen.
Auch Mussolini kann jetzt nicht mehr nur zum Krieg hetzen, er wird eingezogen und kommt an die Alpenfront. Dort bekommt er die Brutalität des Krieges am eigenen Leib zu spüren. Er veröffentlicht im „Popolo“ ein Kriegstagebuch. In der „Knochenmühle“ der Isonzo-Schlachten verfliegt die Kriegslust. Die Österreicher halten stand, Italien gelingt kein entscheidender Durchbruch. Sarfattis Sohn Roberto wird im letzten Kriegsjahr eingezogen. Eine Granate zerreißt ihn im Januar 1918 an einer Bergflanke des Col d’Echelle. Mussolini wird 1934 ein monumentales Denkmal zur Erinnerung an den Sohn seiner Geliebten bauen lassen. Bei der Einweihung fehlt er. Der König kommt, der „Duce“ nicht. Margherita versinkt im Schmerz. Sie dichtet: „Ich kann nicht. Ich gebe nicht nach. Ich wage es nicht. Ich schlucke meinen Schrei. Und weine nicht. Und
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