Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Affären

Affären

Titel: Affären Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsay Gordon
Vom Netzwerk:
mein schwarz-blaues Auge.
    Als ich mich endlich durch die Menge gezwängt habe - hallo, hallo, wie geht's? - und die Ecke mit dem Büfett erreiche, lacht er nicht mehr. Er hat den Mund voll. Er kaut noch und bietet mir die Hälfte dessen an, was er isst. Seine Hände, die guten Hände, Bikerhände, also, ich würde sie nehmen, wenn sie angeboten würden. Aber er hat nur das hässliche Sandwichding zu bieten. Ich schüttle den Kopf.
    Er schluckt und hält den Rest des Sandwiches hoch. Ich sehe einen Ring an seinem Finger, der vorher nicht da war. Breit und Silber, kein Stein. Er hat gute Hände. Er ist ein Biker. Das hat er mir bei früheren Gelegenheiten erzählt. Er hat mir nicht gesagt, dass er heiraten könnte.
    »Ich bin gerade erst eingetroffen«, sagt er. »Sterbe vor Hunger.« Seine Haare sind ein bisschen länger als in Montana. Er schiebt sie nicht zurück.
    »Ich auch.« Das trifft auf beide Dinge zu. Da ich jetzt hier bin und vor ihm stehe, frage ich mich, ob ich mir das in den letzten Monaten nur eingebildet habe. Die Verbindung über dem Tisch, über der Schüssel mit Oliven; eine seltsame Geschichte. Ich will immer noch in seinen Augen schwimmen, und ich hatte gedacht, dass er das auch will. Ich habe ihn falsch gedeutet. Wieder mal. Lauter Luftblasen.
    Er legt das Sandwich ab und wischt die Finger am Tischtuch ab. Leute schwimmen um uns herum, aber ich sehe sie nicht. Nur seine Augen. Nur die Art, wie er manchmal den Kopf neigt, wenn er mich beobachtet oder durch mich hindurch sieht.
    »Der erste Bus fährt ab, zurück ins Hotel«, sagt er. »Willst du mit?«
    »Ja.«
    Ich folge ihm; die Körperzellen sind neu gestimmt; sie springen. Ich denke nicht an das, was die anderen sehen. Klatsch und Tratsch blühen in allen Firmen. Aber vielleicht sind sie alle damit beschäftigt, ihre eigene Geschichte zu erzählen und ihren Körper auf ihre Geschichte abzustimmen, dass sie gar nicht bemerken, wie sich diese Story entfaltet.
    »Heya«, sagt er zum Busfahrer. Ich sehe auf Seans Hintern, als er die Treppe hinaufsteigt. Ich hebe den Blick nicht zum Fahrer. Es ist ein Schulbus, auch noch ein alter. Wir sitzen allein hier. Sonst fährt keiner mit. Warum auch? Die meisten Leute sind ja gerade erst eingetroffen.
    Sean geht voraus zur hinteren Bank. Er streckt seine Hände aus. »Willst du innen sitzen?« Ich flitze an ihm vorbei, ohne seine Finger zu berühren - es ist viel zu früh - und rutsche ans Fenster.
    Wir sitzen. Unsere Münder bleiben still. Meine Haut schweigt aber nicht. He, fass mich endlich an, ruft sie. Komm in mich rein, dreh mich um.
    »Siehst du?«, fragt er. »Kein Notausgang.« Er zeigt mit den Fingern. Aber über einem Fenster steht No ausgang, genauso geschrieben. Wahrscheinlich ist der fehlende Buchstabe irgendwann heruntergefallen.
    »Oh, mein Gott.« Ich muss lachen. Dadurch lösen sich einige Krämpfe in meinem Bauch. »Kein Wunder, dass amerikanische Schüler dumm bleiben.«
    »Eine philosophische Frage. Ist ein Ausgang wirklich ein Ausgang, wenn er falsch geschrieben ist?«
    »Vielleicht sollten wir ihn zum Fluchtweg erklären«, schlage ich vor.
    »Wie die Wand, durch die man mit dem Kopf rennt?« Er schickt die Fäuste gegen die Rückwand des Sitzes los, und ich muss lachen.
    Wir haben den Anfang zu einem Gespräch gefunden. Jetzt reden wir über Musik, Radfahren, Filme und Bücher. Er ist komisch und freundlich. Sein Ring blitzt im Halbdunkel. Ich kann meine Not fast unterdrücken. Ich halte sie für den Moment unter meinem Sitz, versteckt unter Witz und unter dem Vorwand, ihn ein bisschen besser kennenzulernen.
    Nach einer langen Zeit steigen ein paar Leute ein. Sie tun so, als sähen sie uns nicht. Oder wir tun so, als sähen wir sie nicht. Ich zeige auf das Schild No ausgang, unter dem ein Paar sitzt. Wir vier lachen. Zwei Paare. Beinahe.
    Der Fahrer startet den Bus, der unter uns zu rumpeln anfängt. Erster Gang, und Sean und ich rutschen gegeneinander. Sein Bein berührt meins. Ich spüre den harten Stoff seiner Jeans. Er lehnt sich über mich, berührt mich aber nicht. Er drückt einen Finger gegen die Fensterscheibe und wischt die Kondensation weg. Eine lange Linie quer übers Glas. Ich würde gern die Nässe von seiner Fingerkuppe lecken. Aber ich kann ihn nicht darum bitten. Es muss von ihm kommen, obwohl ich nicht weiß, woher ich das weiß.
    Ich drücke meine Knie gegen den Sitz vor mir und rutsche auf meinem Platz ein wenig nach unten. Mein Rock schiebt sich hoch und

Weitere Kostenlose Bücher