Affinity Bridge
ich nicht überzeugt bin, dass Sie
hier verschwunden sind.«
»Danke, Sir. Diese Freundlichkeit werde ich Ihnen nie vergessen.«
Sie verstaute den Stift behutsam in ihrer Schublade und ordnete die Papiere.
Gleich darauf, als Miss Coulthard ihre Siebensachen eingesammelt
hatte, gingen sie zusammen hinaus und verschlossen hinter sich die Bürotür.
7
Von der Chelsea Bridge aus war die Luftschifffabrik in der
Morgensonne gut zu überblicken. Riesige aus roten Ziegelsteinen erbaute Hangars
erhoben sich jenseits der schimmernden Themse, aus hohen und dicken
Schornsteinen stiegen Wolken auf wie Rauchsignale. In groÃen weiÃen Schwaden
entwich Dampf aus Ãberdruckventilen, und ein brauner Abwasserstrom ergoss sich
in den Fluss. Auf den Dächern der Hallen hatten riesige Luftschiffe festgemacht
und schwankten im Wind wie Kinderballons gemächlich hin und her.
Newbury betrachtete den Fluss, in dessen Fahrrinnen Schiffe und
Boote aller Bauarten und GröÃen träge schwammen und dem Zug von Ebbe und Flut
folgten. Es waren viele Fahrzeuge, und zwischen ihnen trieb der Abfall der
Industrie. Laut war es auch: Hornsignale, das Kreischen der Möwen, das
Hufeklappern der Fuhrwerke, die über die Brücke zu ihren Bestimmungsorten fuhren.
Ein Schiff fiel ihm auf, dem die anderen viel Platz lieÃen. Er betrachtete es
einen Moment lang durch das Fenster. Auf den Rumpf waren groÃe rote Kreuze
gemalt, die Flagge war auf Halbmast gesetzt. Möglicherweise war es ein Seuchenschiff,
das die Leichen der Opfer aufs Meer brachte, um sie dort ganz unzeremoniell zu
versenken. Aus seinen Gesprächen mit Bainbridge wusste er, dass es überall in
der Stadt Tote gegeben hatte, vor allem aber in den Elendsvierteln, wo die
Menschen im Schmutz lebten und die Krankheit sich leicht ausbreiten konnte.
Auch die Geschichten über die »Wiedergänger« machten die Runde. Die
Tageszeitungen plapperten alle Gerüchte nach, die man auf den StraÃen hörte,
und bereiteten die Epidemie zur fröhlichen Weiterverwendung durch Papageien wie
Felicity Johnson auf. Die Angst war natürlich keineswegs unbegründet, denn
bevor das Virus den Wirt tötete, nahm es ihm die Menschlichkeit und verwandelte
ihn in eine monströse Mordmaschine. Der Körper konnte sich nicht mehr regenerieren,
und der Betreffende konnte nur noch agieren wie ein wildes Tier. Kurz und gut,
die Betroffenen verwandelten sich in primitive Geschöpfe und waren dank des
Verlusts ihrer Vernunft so gut wie unbesiegbar, zumal sie keinen Schmerz mehr
empfanden und sich nicht einmal an Wunden störten, die jeden normalen Menschen
sofort umgebracht hätten. Es war, als hielte das Virus sie irgendwie am Leben
und wartete auf einen unbekannten biologischen Auslöser. Nach einigen Tagen
hatte das Virus dann sein Werk getan, das Gehirn der Opfer löste sich auf, und
sie sanken leblos am StraÃenrand zusammen. Es war ein schlimmer Tod. Newbury
hoffte sehr, dass Miss Coulthard sich irrte und dass ihr Bruder bisher der
Infektion entgangen war. Denn falls er sich angesteckt hatte, lag er nach
allem, was man über das Virus wusste, längst tot in der Gosse oder ging in der
Nacht als stumpfsinniges Ungeheuer, das nur auf Essen und Blut aus war, in den
nebligen StraÃen um.
Das Schaukeln der Droschke ermüdete ihn. Newbury schloss einen Moment
die Augen und dachte an Ihre Majestät, die angesichts der Krise ungeduldig
darauf wartete, dass sich das Virus in den Armenvierteln der Stadt endlich
totlief. Wahrscheinlich hatte sie schon hundert Wissenschaftler darauf
angesetzt, einen Impfstoff zu suchen. Falls nicht bald eine Lösung gefunden
wurde, musste sie wohl die Armenviertel absperren lassen, um die weitere
Ausbreitung der Krankheit zu verlangsamen. Alle hatten Angst davor, was
geschehen mochte, wenn die Seuche in der Stadt weiter um sich griff. Manche Hochrechnungen
gingen davon aus, dass bis zu fünfzig Prozent der Einwohner erkranken könnten,
und wenn sie nicht das Virus selbst tötete, dann wurden sie von den wütenden
Ungeheuern niedergemacht, die es erzeugte. Newbury nahm an, dass es noch einige
Zeit dauern würde, bis sich die Dinge zuspitzten. Das Schlimmste stand ihnen
offenbar noch bevor.
Er blickte auf. Veronica saà schweigend und gedankenverloren auf
der anderen Seite der Droschke. Sie hatte die Hände im Schoà gefaltet und
blickte aus dem Fenster. An diesem Tag trug sie eine hellblaue
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