Affinity Bridge
Morgen jemand aufgehalten hatte. Veronica
wandte sich ab und überlegte, was sie nun tun sollte. Newbury war
offensichtlich nicht daheim, und sie hatte keine Ahnung, wo er sich sonst noch
aufhalten mochte, wenn man vom Büro absah. Natürlich konnte sie ins Museum
zurückkehren und hoffen, dass ihr Vorgesetzter irgendwann auftauchte. Oder sie
fuhr nach Kensington und wartete in ihrer eigenen Wohnung auf seinen Ruf.
Nachdenklich nagte sie an der Unterlippe.
Dann, als sie gerade gehen wollte, öffnete sich hinter ihr die Tür,
und eine etwas atemlose rundliche Frau in der schwarzen Tracht einer Haushälterin
erschien. »Oh, entschuldigen Sie, Miss. Ich war hinten mit der Wäsche
beschäftigt.« Die Frau hatte sich die Ãrmel hochgekrempelt, und von den Händen
tropfte noch das Wasser.
Veronica lächelte. »Es tut mir leid, dass ich Sie von Ihrer Arbeit
abhalte. Sie müssen Mrs. Bradshaw sein, nicht wahr? Sir Maurice war des Lobes
voll für Sie.«
Die Frau war verblüfft. »Ja, die bin ich, Miss. Wie kann ich Ihnen
helfen?« Sie sprach mit einem heimeligen schottischen Akzent. Das graue Haar
hatte sie straff zurückgebunden und unter einem schwarzen Netz versteckt. Sie
war gewiss eine beeindruckende Gestalt, zugleich aber auch voller Wärme und ein
Vorbild an Integrität. Veronica verstand sofort, warum Newbury sie mochte.
»Ich bin Miss Veronica Hobbes, Sir Mauriceâ neue Assistentin.
Eigentlich wollten wir uns heute Morgen im Museum treffen, doch er ist dort
nicht erschienen. Deshalb hielt ich es für das Beste, hier vorbeizuschauen und
mich zu vergewissern, ob alles in Ordnung ist.« Sie verrenkte den Hals, um an
der Haushälterin vorbei in den Flur zu spähen. Drinnen war es dunkel, die
burgunderrote Tapete und die dunklen Holzmöbel verstärkten noch den abweisenden
Eindruck. Von Newbury war nirgends etwas zu sehen, doch er konnte sich ja auch
anderswo im Haus aufhalten, vielleicht im Wohnzimmer oder in seinem Arbeitszimmer.
Mrs. Bradshaw schaute die StraÃe hinauf und hinunter, dann heftete
sie den Blick auf Veronica. »Miss Hobbes, der Herr sagte mir, ich solle Sie
willkommen heiÃen, wann immer sie hier vorbeischauen. Dann kommen Sie besser
mal herein.«
Veronica runzelte die Stirn. Die Frau wirkte ein wenig gereizt, als
fühlte sie sich nicht wohl, weil Veronica im Haus war. Sie stieg die Treppe
hoch und betrat den dunklen Flur.
Newburys Mantel und der Hut hingen neben einem kleinen Tisch und
einem Spiegel auf dem Garderobenständer. Die Post lag ungeöffnet auf dem
Tischchen. Veronica wandte sich an Mrs. Bradshaw. »Ist Sir Maurice überhaupt daheim?«
»Ja, Miss, aber ich bin nicht sicher, ob er Besucher empfängt.« Sie
schien besorgt, und nun befürchtete Veronica, dass vielleicht doch nicht alles
in Ordnung war.
Sie beschloss, die Frau um eine Erklärung anzugehen. »Fühlt sich Sir
Maurice nicht wohl? Ich kann Ihnen versichern, Mrs. Bradshaw, dass mir sein
Wohlergehen sehr am Herzen liegt, und Sie können sich natürlich darauf
verlassen, dass ich die Angelegenheit mit äuÃerster Diskretion behandle.«
Mrs. Bradshaw seufzte. »Jawohl, Miss. Dann bringe ich Sie jetzt zu
ihm.«
Veronica hängte ihren Hut ebenfalls auf den Ständer und knöpfte den
Mantel auf, während sie Mrs. Bradshaw folgte. Die Haushälterin führte sie
hinten im Flur eine kurze, knarrende Treppe hinauf. Von einem kleinen
Treppenabsatz aus war ein groÃzügig bemessenes Bad zu erreichen, dann ging es
weiter in den ersten Stock hinauf. Die oberen Türen gehörten vermutlich zu
einer Reihe von Schlafzimmern.
Veronica zögerte. »Ist er etwa bettlägerig, Mrs. Bradshaw? Ich weiÃ
nicht, ob es angemessen wäre, ihn unter diesen Umständen aufzusuchen.«
Die Haushälterin schüttelte den Kopf. »Nein, Miss. Er ist da drin.«
Sie deutete auf eine vertäfelte Tür. »Das ist sein privates Arbeitszimmer. Der
Herr hat sich seit gestern Morgen dort drinnen verkrochen. Er war unterwegs,
und als er zurückkehrte, ging er direkt in sein Zimmer und schloss sich ein.
Seitdem habe ich kein Wort mehr von ihm gehört.«
Veronica war verwirrt. »Glauben Sie, es geht ihm nicht gut?«
Mrs. Bradshaw zuckte mit den Achseln. »Das kann ich nicht sagen,
Miss. Dieses Verhalten ist gewiss ungewöhnlich. Nicht, dass es mich nach den
letzten paar Jahren noch wundern
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