Affinity Bridge
Besucher, die in ihre feinsten Sachen gekleidet waren, stiegen die
Stufen empor und verschwanden im groÃen Eingang, als würden sie vom Maul eines
hungrigen Urviehs verschlungen. In den hell erleuchteten Fenstern waren die
Silhouetten plaudernder Gäste zu sehen, das Stimmengewirr drang bis in die
Nacht hinaus, eine auf und ab schwellende Kakophonie von Höflichkeiten,
Komplimenten, bösartigen Seitenhieben und geflüstertem Rufmord. In den offenen
Türen standen Butler bereit, begrüÃten die Gäste und nahmen ihnen, bevor sie
sich dem Gepränge anschlossen, die Mäntel ab.
Es war ein schönes Haus, vor etwa hundert Jahren entstanden und mit
den wundervollen Proportionen der georgianischen Architektur ausgestattet, die
Veronica so sehr lieben gelernt hatte. Aus diesem Grund hatte sie sich auch in
Kensington in einem Haus niedergelassen, das diesem hier ähnelte: hohe
Schiebefenster, eine prächtige vordere Veranda, die kantige rechteckige Form.
Dieser Bauweise fehlte der Protz der neueren Gebäude, die überall in London aus
dem Boden geschossen waren, und das wusste Veronica sehr zu schätzen. Sie
konnte es kaum erwarten, das Innere zu erkunden. Vor Jahren hatten ihre Eltern
sie in die Londoner Gesellschaft eingeführt, und sie hatte viele prächtige
Häuser in der Stadt besucht. Nachdem Amelia erkrankt war, hatte sie das letzte
Jahr recht einsam verbracht, sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen
und am Ende alle früheren Kontakte verloren. Sie war dankbar, dass Newbury sie
an diesem Abend eingeladen hatte und ihr eine Gelegenheit bot, etwas anderes
als die nüchterne Kleidung zu tragen, die sie im Büro bevorzugte. Noch
schlimmer, erst neulich war sie auf freiem Feld durch die Trümmer eines
ausgebrannten Luftschiffs gekrochen, hatte Fabriken jenseits des Flusses
besucht und sich überhaupt nicht mehr wie eine Dame gefühlt. Nach einem Blick
in den Standspiegel in ihrer Wohnung hatte sie beschlossen, an diesem Abend
einen Ausgleich zu schaffen. Sie wandte sich an Newbury, der neben ihr stand.
»Danke für die Einladung.«
Er lächelte freundlich. »Gern geschehen, meine Liebe.« Er trug einen
eleganten schwarzen Frack, förmlich zwar, aber dennoch von legerem Schnitt. Den
Hals schmückte eine perfekt geknüpfte Fliege, und der Zylinder saà in einem
verwegenen Winkel auf dem Kopf. Er war der Inbegriff eines Gentleman, und nun,
da er im Licht der StraÃenlaternen endlich die Gelegenheit dazu hatte,
betrachtete er Veronica von oben bis unten. Sie trug ein perfekt sitzendes
flieÃendes Kleid aus gelber Seide mit einem Ausschnitt, in dem die weiche
rosafarbene Haut zum Vorschein kam. Ihr Mieder war eng geschnürt, und die
Unterröcke waren lang und strichen über den Boden, wenn sie sich bewegte.
Vervollkommnet wurde ihre Aufmachung durch eine einreihige schimmernde
Perlenkette und zwei passende Ohrringe. Die Haare hatte sie sich zu einer
adretten Hochfrisur gesteckt.
»Miss Hobbes, ich muss schon sagen, Sie sehen heute Abend hinreiÃend
aus.« Newbury hatte Mühe, seine Verlegenheit zu verbergen. Er bot ihr den Arm,
und dann erklommen sie zusammen die Treppe vor dem beschwingten Haus.
Drinnen erkannte Veronica sofort, dass sich an diesem Abend die
Creme der Londoner Gesellschaft versammelt hatte. Ãberall entdeckte sie viele
bekannte Gesichter und für jedes davon zehn weitere, die ihr nicht bekannt
waren. Es wimmelte vor Botschaftern, Politikern und Gentlemen, ganz zu
schweigen von den zahlreich erschienenen Gemahlinnen und höheren Töchtern. Bei
Newbury eingehakt blieb sie einen Augenblick an der Schwelle des groÃen Raumes
stehen und lieà die Szenerie auf sich wirken. Messingautomaten schoben sich
durch das Gedränge, wichen elegant den kleinen Trauben plaudernder Gäste aus
und reichten volle Tabletts mit Getränken und Speisen herum. Veronica beobachtete
einen, der gerade einige Gäste bediente. In den rotierenden gläsernen Augen
spiegelte sich der Schein der Gaslampen, hinter der Klappe in der Brust waren
die blauen Entladungen des Aufzugsmechanismus zu erkennen. Trotz der Aussagen
über die Einheit, die in Morgans Kunstgalerie versagt hatte, war sie von den
Maschinen beeindruckt, die sich elegant unter die Gäste mischten. Häufig nahmen
Letztere rasch ein Glas von einem Tablett, wenn ein Automat vorbeikam, ohne ihr
Gespräch zu unterbrechen und die wundervollen
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