Affinity Bridge
an sich genommen
hatte. Er blätterte es rasch durch, legte es sich auf den Schoà und faltete
darüber die Hände. Dann wandte er sich mit leiser Stimme an Veronica.
»Anscheinend wollen sie mit Elgar beginnen. Es gibt Schlimmeres.« Er grinste.
Veronica schüttelte den Kopf. Newbury amüsierte sich offensichtlich,
doch allem Anschein nach aus ganz anderen Gründen als die übrigen Gäste. Er
wollte sich mit den Anwesenden nur so weit einlassen, wie es unbedingt
notwendig schien. Veronica gewann den Eindruck, dass er nur mit ihnen spielte
und sie für ihre selbstgefällige Art auslachte. Er glaubte wohl nicht, tatsächlich
über allen anderen zu stehen, hielt es aber für angebracht, auf Distanz zu
bleiben. Das war ein interessanter Aspekt seines Charakters, mit dem sie nicht
gerechnet hätte.
Wieder gingen die Türflügel auf, und das Publikum verstummte.
Veronica blickte sich über die Schulter um und hätte vor Schreck beinahe gekeucht.
Ein leicht humpelnder, etwa fünfzigjähriger Mann mit ergrautem Haar führte
zwei Automaten herein. Sie bewegten sich mit dem typischen mechanischen Gang
dieser Maschinen, waren jedoch mit schwarzem Anzug und Fliege bekleidet. Einer
hielt mit den gepolsterten Messingfingern eine Violine und den Bogen fest. Die
Automaten wanderten durch den Mittelgang nach vorn und nahmen ihre Plätze in
der Ecke ein. Der Automat mit der Violine setzte sich vor dem Notenständer auf
einen Hocker und bereitete sich vor, indem er das Instrument unter dem Kinn
einklemmte. Der zweite lieà sich vor dem Flügel nieder und suchte mit
klickenden MessingfüÃen die Pedale, während die Finger bereits reglos auf den
Elfenbeintasten ruhten. Der Mann, der sie hereingeführt hatte, blieb neben dem
Flügel stehen, sammelte sich kurz und holte tief Luft. Dann sah er sich im Raum
um, vergewisserte sich, dass das Publikum bereit war, und wandte sich wieder an
die Automaten. Mit einer raschen kleinen Geste aus dem Handgelenk gab er den
Maschinen den Befehl zu beginnen.
Lächelnd beobachtete Newbury seine Begleiterin.
Die Violine erwachte zum Leben. Veronica lehnte sich an und sah
aufmerksam zu. Der Automat führte den Bogen wie ein Meister über die Seiten hin
und her. Unwillkürlich hielt sie den Atem an, um den magischen Augenblick nicht
zu zerstören. Sie schloss die Augen und lieà sich von der Musik einhüllen. Das
Stück war ergreifend und wurde mit ungeheurer Präzision dargeboten. Der Flügel
stimmte ein, der Automat passte sich der Geige geschmeidig an und begleitete
den Kollegen. Die fesselnde, schöne Musik erfüllte den Raum, und Veronica
mochte kaum glauben, dass zwei mechanische Apparate etwas so Perfektes
vollbringen konnten, da sie doch in erster Linie für einfache Arbeiten und
nicht für komplizierte Aufgaben wie diese erschaffen worden waren. Gäste zu
bedienen und ein Luftschiff im Flug zu steuern, das war eine Sache. Da die
Messingautomaten aber nun das Musikstück mit solcher Geschicklichkeit und
Meisterschaft vorzutragen verstanden, betrachtete Veronica sie mit ganz neuen
Augen. Bisher hatte sie angenommen, den Maschinen fehlte jedes echte Gefühl und
jede Emotion, sie besäÃen nicht das Einfühlungsvermögen eines Lebewesens und
seien einfach nur Maschinen, die mit Lochkarten darauf programmiert werden
konnten, menschliches Verhalten nachzuahmen, ohne jedes Bewusstsein für die
eigene Existenz und ohne jedes Gefühl für die Wirkung ihres Handelns auf
andere. Während Veronica die geschickten Instrumentalisten beobachtete, begann
sie jedoch, an dieser Einschätzung zu zweifeln. Sie war der Ansicht, Musik sei
mehr als nur die Summe ihrer Teile â weniger eine isolierte technische
Fertigkeit, sondern vielmehr ein emotionales Erlebnis und eine Kunst, in der
Leidenschaftlichkeit und Fähigkeit zusammenfinden mussten. Sie staunte über die
Qualität der Darbietung und sah sich durch das Spiel der Automaten sogar
bewegt. Mit einem Blick in die Runde versuchte sie, die Eindrücke des übrigen
Publikums einzuschätzen. Genau wie sie waren viele andere von der Vorstellung
völlig hingerissen. Newbury hatte die Augen geschlossen und war von der Musik
völlig in Bann geschlagen. Sie drehte sich um und blickte zur Doppeltür, durch
die sie den Konzertsaal betreten hatten. Zu ihrer Ãberraschung sah sie dort
Joseph Chapman stehen, der die Hände hinter dem
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