Affinity Bridge
wenigen Sekunden war das eigenartige Gerät
nichts weiter als ein ganz gewöhnlicher Gehstock.
Newbury konnte kaum noch klar sehen und brach beinahe in Veronicas
Armen zusammen. Gemeinsam mit Bainbridge hievte sie ihn in die Droschke, wo sie
ihn behutsam auf eine Sitzbank legten. Bainbridge klopfte mit dem Knauf des
Stocks an die Decke, um dem Fahrer mitzuteilen, dass sie alle wohlbehalten an
Bord waren. Gleich darauf pfiff der Dampf aus den Ventilen, und das Fahrzeug
holperte in die Morgendämmerung hinein.
Veronica kniete vor Newbury nieder und riss sein Hemd in Streifen,
um die Wunden provisorisch zu versorgen. Er sah schrecklich mitgenommen aus:
Sein Oberkörper war mit Kratzern und Prellungen übersät, er war bleich vom
Blutverlust, das Blut drang immer noch durch die zerfetzte Kleidung und
sammelte sich in einer Pfütze auf dem Boden. Veronica versuchte, die Blutung
mit aufgelegten Händen zu stillen, und übte auf die verletzte Schulter so viel
Druck aus, wie sie nur konnte.
»O Maurice.« Sie wusste nicht, was sie sonst sagen sollte.
Newbury drehte den Kopf zu ihr herum. »Das wird schon wieder, es
wird alles gut.« Er konnte nur noch krächzen. Dann fiel sein Blick auf Bainbridge,
der auf der gegenüberliegenden Bank saà und sich schwer auf den Gehstock
stützte. »Das ist aber mal ein netter Apparat, Charles.« Er lächelte gequält.
»Wo haben Sie ihn her?«
Bainbridge schüttelte den Kopf und lächelte erstaunt, weil Newbury
überhaupt die Kraft fand, ein solches Gespräch zu führen. »Von Dr. Fabian.
Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, ihn auszuprobieren, aber das alte
Mädchen hat Ihnen anscheinend gute Dienste geleistet, was?«
Newbury nickte und zuckte zusammen, als Veronica ihm einen Streifen
Stoff auf die Schulterwunde legte. »Das hat sie.«
Veronica warf einen besorgten Blick zu Bainbridge. »Mehr kann ich
hier nicht tun. Wir müssen ihn in ein Hospital bringen.«
Bainbridge schnaubte empört. »Da könnten wir ihn auch gleich zu
einem Metzger schaffen. Nein, wir bringen ihn zum Knochenflicker.«
»Zu wem?«
»Zum Knochenflicker.« Newbury drehte den Kopf zu ihr herum. »Ein
Chirurg der Königin â¦Â« Er hustete und rutschte ein wenig herum, um die
Schmerzen zu lindern. »Erzählen Sie es ihr, Charles.«
»Der Knochenflicker ist ein Leibarzt der Königin«, erklärte
Bainbridge. »Er steht jederzeit bereit, den Agenten Ihrer Majestät in Fällen
wie diesem zu helfen. Er arbeitet für Dr. Fabian und ist der beste Mediziner,
den zu treffen ich je das Unglück hatte. Seine Praxis ist in Bloomsbury, gar
nicht weit vom Museum entfernt.«
»Weià der Fahrer denn, wohin wir wollen?«
Bainbridge nickte. »Barnes? Ja, der ist einer unserer eigenen Leute.
Was glauben Sie denn, warum er nicht bei der erstbesten Gelegenheit Fersengeld
gegeben hat, als Newbury von den verdammten Wiedergängern verfolgt wurde?« Er
hielt inne und blickte mit gerunzelter Stirn zu Newbury. »Ich nehme an, den
beiden Uniformierten ist es nicht sehr gut ergangen?«
Newbury schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Bainbridge begriff,
dass dies nur das Schlimmste bedeuten konnte. »Verdammt!« Er stampfte mit dem
Gehstock auf den Boden. »Die armen Hunde.« Dann erinnerte er sich, dass
Veronica anwesend war. »Verzeihung, Miss Hobbes.« Sie winkte ab.
Newbury hatte die Augen geschlossen. Veronica strich ihm die Haare
aus der Stirn und erwiderte Bainbridges Blick. Sie flüsterte nur, als wollte
sie die Antwort auf ihre Frage eigentlich gar nicht hören: »Was ist mit der
Seuche? Wird man nicht angesteckt, wenn die Wiedergänger einen beiÃen? Ist er
jetzt infiziert?«
Newbury öffnete flatternd die Augenlider und versuchte, sich auf
einem Arm hochzustemmen, zuckte aber zusammen, als die Schmerzen in der Seite
übermächtig wurden, und legte sich wieder auf den Rücken. Er suchte Veronicas
Blick. »Keine Sorge. Ich bin immun gegen die Seuche, ich habe mich nicht
angesteckt.«
Bainbridge beugte sich vor. »Wieso sind Sie immun?«
Newbury schluckte, dann zog er das zerfetzte Hemd hoch und zeigte
ihnen den nackten Oberkörper. Ãberall war Blut, doch über der linken Brustwarze
war trotz des schwachen Lichts eine sichelförmige weiÃe Narbe deutlich zu
erkennen. »Ich wurde schon einmal gebissen.« Veronica riss
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