Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
es gut ist, wenn Zudeck-Perron mitfährt, dachte sie, unter den gegebenen Umständen. „Hat Sparks Ihnen gesagt, um was es sich da eigentlich dreht?“
„Keine Silbe.“
„Und einen Termin hat er auch nicht genannt?“
„Nichts Genaues weiß man nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Es zieht sich noch eine Weile hin, nehme ich an. Aber à propos – haben Sie nicht Lust, morgen früh an einer anderen Geschichte teilzunehmen?“
Anica war nicht uninteressiert. Zudeck-Perron verfügte über zuverlässige Informanten und verstand es überdies, dorthin zu gelangen, wo sich etwas ereignete. Dass er des Öfteren den Einsatz verpatzte und mit leeren Händen heimkehrte, lag an seiner grundsätzlichen Voreiligkeit, zu der er sich durch das notorische berufsbedingte Warten treiben ließ. Diese Chance ließ sich dann für sich selbst nutzen.
„Kommt drauf an“, sagte sie leichthin.
Er erhob sich. Das Girl war zur Tür getreten, seine Riemensandalen hielt es in der Hand. „Come back“, sagte es, „when?“
„Working time no fixed”, erwiderte Zudeck-Perron, die Tür aufhaltend. „I will ring up to you, when I feel like doing so in that manner. All right, my lovely Lollipop?” Er winkte einen knappen Abschiedsgruß. „Sie ist mir vermittelt worden“, sagte er zu Anica. „Aber die sind ja schimmerlos... – Also was ist? Wollen Sie mit?“
„Wohin?“ fragte sie und nahm sich vor, dem Kollegen, was junge Damen betraf, die Hammelbeine langzuziehen.
„Kein Wort zu irgendjemand“, raunte er. „Geht keinen Dritten was an. Nur wir zwei teilen uns in das Geschäft. Enklave Zepa. Hat die gewiefte Kamensiek eingefädelt. Zudem habe ich noch etwas gut bei einem bosnischen General. Einige Minuten Flug, dann gibt´s eine Attacke auf eine Serben-Konzentration. Strikt geheim. Nicht mal die beteiligten Kommandeure wissen genau, wohin es geht.“
„Ist das der General, für den persönlich der Ring dieses Girls läuft?“ brachte Anica vor und fragte sich ärgerlich über sich selbst: Fällt dir wirklich nichts anderes zu diesem Thema ein?
„Ich habe etwas für ihn auf einem Flug in die Schweiz mitgenommen“, erklärte Zudeck-Perron achselzuckend. Durch die Fenster drangen grummelnde Geräusche ins Zimmer herein. „Ansonsten hat mich der Vortrag der Kleinen davon überzeugt, dass Generäle – wie gesagt – keinen Schimmer haben, wie der Hase liegt..., ehem, läuft. Gilt auch in Sachen Enklave Zepa.“
„Hm“, brummelte sie, und die in ihr aufsteigende Wut ließ sie auf keine angemessene Replik kommen.
„Machen wir das Licht aus und ziehen das Rollo hoch“, schlug Zudeck-Perron vor. Er freute sich offenbar, dass Anica blieb. „In der vorletzten Nacht habe ich hier am Fenster gesessen und rausgesehen. Ein interessantes Bild!“
Er ging zum Schalter und knipste das Licht aus, bevor er durch das dunkle Zimmer schlurfte und das Stoffrollo hochzog.
„Die Bosnier, das heißt die Brigaden ihrer islamischen Legion“, erklärte er, „donnern Granaten raus, wenn mal zwei Tage hintereinander Ruhe herrscht. Die wissen doch ganz genau, dass für jede ihrer Granaten zehn bis fünfzig zurückkommen. Und die Regierung braucht die tagtägliche Blutspur in Sarajevo. Sonst ist die Stadt ja auch uninteressant.“
Anica lehnte sich neben ihn auf die Fensterbank. Das Zimmer lag im obersten Stockwerk, die Gebäude ringsum waren um etliches niedriger; der ganze Himmel erschloss sich ihren Blicken – bis zum Horizont. Dort gurgelte jetzt alles schlagartig, dröhnte es furchteinflößend, und Tausende von Hämmern schienen zu pochen. Dieser Himmel war wie ein gewaltiges schwarzes Laken über den gesamten Talkessel gespannt, das in jeder Sekunde an tausend verschiedenen Stellen zerriss, überall dort, wo die Explosionsblitze der Granaten und Boden-Luft-Raketen und Leuchtspurgeschosse aufflammten und als makabre Sternschnuppen die Düsternis durchrasten.
Die Nacht war das wichtigste Element des Krieges. Es förderte wie kein anderes die Unsicherheit, steigerte die Ungewissheit, versteckte die wahren Verhältnisse, verstärkte die Ängste. Wenn die tropfenförmigen Projektile wie eine Kette aus Feuerperlen den Nachthimmel zerschnitten, bekam der Lärm unvermittelt einen Körper, und die Planlosigkeit erhielt eine Richtung. Die stillen, festen Konturen der Landschaft, des Weichbildes der Stadt zerflossen in vielgestaltige Formen. Der Schein trügt, dachte Anica, die Dunkelheit wird beim Morgengrauen Leere und Seelenlosigkeit
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