Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
kaum mehr wiedererkennen. Von außen zumindest war es übersät mit Myriaden von Einschüssen aus Gewehren und Artillerie. Gekrönt wurde der hypermoderne Wolkenkratzer von einem bizarren Diadem aus blechernen Schüsseln der Satellitenübertragungsanlagen. Die Inneneinrichtung war protzig und anachronistisch, angefangen von den Fahrstühlen aus schwerer Kunstschmiedearbeit, die eine seltsame Symbiose mit High-Tech eingegangen war, über silberne Filigranleuchter auf den Tischen bis hin zu den glänzenden, mit modernen Kupferstichen behängten Mahagoniwänden der Bar, und endete nicht damit, dass selbst die bauchigen Kognakschwenker edlen Schliff aufwiesen. Hier war alles teuer, immer noch, da die Preise in D-Mark und Dollar notiert wurden, ausgenommen freilich die Gäste, die seit dem Auftauchen der UN-Verbände dieses Hotel bevölkerten. Die Presseleute passten nicht mehr so recht zu der kalten Pracht aus Kristall, Orientteppichen und filigranem Edelmetall. Eine befremdende Stimmung herrschte jetzt meistens vor, Anspannung und Vergnügungssucht, Niedergeschlagenheit und Aggressivität, Überheblichkeit und Fassungslosigkeit.
Begonnen hatte es damit, dass vom CNN eine Suite angemietet und zum ständigen Büro ihrer Balkan-Korrespondenten umfunktioniert worden war. Mittlerweile faxten auf beinahe jedem Stockwerk ausschließlich Fernkopierer von TV-Stationen, Dutzende von Zimmern wurden in Studios umgewandelt. Nachrichten aus Bosnien-Herzegowina waren Massenware für den Medienmarkt geworden und nach dem unablässigen Waffennachschub keinen ernstzunehmenden Beschränkungen unterworfen, wenn man von dem einseitigen Embargo gegen Bosnien, das auch nur auf dem Papier stand, einmal absah. Beiderlei Geschäfte, Waffen und News, warfen immensen Gewinn ab. Die Anwesenheit von Filialen der großen Agenturen brachte es mit sich, dass kompanieweise Reportercrews und News-Lieferanten zu jeder Tages- und Nachtzeit im Hotel herumstreunten oder vielmehr jagten wie die Kugeln in einem übergroßen Flipperautomaten, stetig auf der Suche nach einem Auftrag, nach einem zahlenden Abnehmer.
Nach und nach hatten neben den Korrespondenten aus den USA, Russland, der EU und vielen anderen Staaten auch die Publik-Relation-Teams der UN-Verbände hier Quartier bezogen. Seitdem nannte man das Evropa nurmehr „MM“, das Medienmekka oder die Multimedia-Moschee. Im „MM“ konnte man zu jeder Stunde die letzten Meldungen aus dem Land erhalten, es war das Presse- und Medienzentrum, die offiziöse Nachrichtenbörse von Sarajevo.
Anica zeigte dem Posten vor der Foyer-Drehtür ihren Ausweis, hob leicht die Arme an, um anzudeuten, dass sie keinerlei Waffen unter der Kleidung verborgen hielt. Der Soldat sah in ihre Taschen, unterließ jedoch die bei Männern obligatorische Leibesvisitation, einmal weil keine Kameradin Dienst tat, die ihre Geschlechtsgenossin hätte absuchen können, zum anderen da er die Reporterin kannte. Die Prozedur war gängige Routine geworden, seit mehrmals Handgranaten in der Empfangshalle detoniert waren. Deshalb hatte man die Drehtür eingebaut und mit Panzerglas versehen, sowie die Fenster der unteren Etagen mit engmaschigen Stahldrahtgeflechten ausgestattet. Jeder Gast wurde mehr oder weniger gründlich kontrolliert, und selbst wenn eine der Agenturen ein Bankett gab, meist für den jeweils nur wenige Monate amtierenden UN-Medien-Chef, wurde diese Regel eingehalten. Anica musste grinsen, weil sie daran dachte, wie die Gattinnen der einheimischen Zeitungsverleger oder die Begleiterinnen der Politiker und Journalisten ein verlegenes Lächeln zur Schau trugen, wenn sie von einer weiblichen Angehörigen des Sicherheitsstabes aufgefordert wurden, ihre Handtäschchen zu öffnen, und wenn eine der oft mürrisch blickenden Damen schließlich deodorierte Achselhöhlen, nylonbestrumpfte Kniekehlen sowie die speckgepolsterten Innenseiten der Oberschenkel abtasteten, um festzustellen, ob nicht irgendwo eine flache Pistole, ein Stilett oder eine Handgranate verborgen war.
„Okay, Madam“, sagte der bosnische Milizionär, und es klang ein wenig gelangweilt. Mit dieser Reporterin war nicht gut Kirschen essen; sie war einmal einem mannhaften soldatischen Grabschversuch mit schlankem Knie zuvorgekommen, so dass der betroffene Posten seine Waffe losgelassen hatte und dagestanden war wie ein Fußballspieler nach der missglückten Abwehr eines Freistoßballes, der direkt unter seiner Gürtellinie einschlug. Der Uniformierte sah auf die
Weitere Kostenlose Bücher