Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
hinterlassen.
In unmittelbarer Nähe klirrte etwas.
„Vorsicht, nebenan ist ein Balkonfenster getroffen worden“, warnte Zudeck-Perron. „Besser Sie treten ein wenig zurück, damit Sie nicht von einem Granatsplitter verletzt werden, wenn einer hier durch die Scheibe gesegelt kommt.“
„Wann soll es denn losgehen?“ fragte Anica, wobei sie unverändert gebannt zum Horizont emporblickte.
„Abflug von Vojkovic bei Sonnenaufgang. Die Hauptverbände stoßen von Westen dazu. Sensationelle Schau. Sind Sie dabei? Das kann ein paar Braune einbringen.“
Anica überlegte, dass sie es sich eigentlich hätte leisten können, etwas kürzer zu treten. Ihre Agentur hatte den Scheck geschickt, und da war es ein angenehmes Gefühl, zu wissen, nicht auf jeden lausigen Job angewiesen zu sein. Ein paar Tage Adriastrand wären auch ganz schön, und nun Enklave Zepa.
Die Journalistin wusste, um welche Region es sich handelte. Einst breiteten sich in diesem Landschaftsraum große Wälder aus, die im Raubbau für die Kriegsflotte Roms und die Dogen Venedigs sowie für die Pfahlfundamente der Lagunenstadt vernichtet worden waren. Darauffolgende Weidewirtschaft verhinderte die Regenerierung der Forste und starke Regengüsse spülten die restliche kostbare Bodenkrume endgültig fort. Es blieb ein heißes Becken aus entblößten, korrosionsanfälligem Kalkgestein, eine Steinwüste, wo allenfalls in Felsspalten und auf einigen Hügelkuppen noch Hartgräser oder Gestrüpp ihr Dasein fristen. Eigenartiger Kriegsschauplatz, überlegte sie.
Das Inferno in Sarajevo nahm seinen Lauf, riesige Blitze, verheerende Feuerkugeln, die fünfhundert Meter hoch schossen, Rauchpilze, die himmelwärts pufften. Die ganze Stadt schien in Flammen zu stehen, und Anica kam es vor, als würden schwarze Vorhänge langsam vor den explodierenden Himmel auf- und zugezogen.
Hoch oben auf dem Bergrücken gegenüber dem Hotel flammte zwischen den gleißenden Geschosssalven ein ungewöhnlich großer gelblicher Fleck auf, verwandelte sich in einen vielzackigen Stern und gleich darauf in ein Kreuz.
„Da hat´s einen erwischt“, rief Zudeck-Perron aufgeregt. „Ich weiß gar nicht, dass die UN jetzt zurückschießen.“
„Wo drauf soll es denn diesmal rauslaufen?“ wollte die Journalistin wissen. „In Zepa?“
„Luftlandetruppen“, antwortete Zudeck-Perron, band sich eine Krawatte um. „Eine US-Luftkavalleriedivision im schmucken Weiß der UN wird eingesetzt. Routinierter Elitehaufen, Feuerwehr und Mädchen für alles von Uncle Sam. Haben Erfahrung damit, ein Gebiet abzuriegeln und aufs Zentrum zu aufzurollen. Bei Niggerdemonstrationen hat es immer hervorragend funktioniert. In Nam oder am Golf weniger.“
„Was verspricht man sich davon?“
Zudeck-Perron zog die Bügelfalte seiner Hose nach. „Angeblich haben die AWACS-Leute Serben in Regimentsstärke ausgemacht. Das Unternehmen soll mit erheblicher Luftunterstützung laufen. Falls unsere sich mit den Russen darüber verständigen können. Mehr ist nicht zu erfahren. Lassen wir uns überraschen.“
„Ich komme nicht ungern mit“, meinte Anica. „Danke für den Tipp. Ich werde mich gleich zum Medien-Center begeben.“
„Der ist genau hier.“ Er deutete mit dem Zeigefinger unter sich. „Sie können sich unnötige Wege sparen. Der Mann ist mir die paar Häuserbocks entgegengekommen. Mal sehen, was er will. Müsste schon unten in der Bar sitzen. Ich habe ihn vorausschauend gebeten, die Erlaubnis für Sie gleich mitzubringen.“
„Sehr aufmerksam.“
„Dürfen mir einen Wodka dafür spendieren, Klingorchen. Ihm freilich auch. Alter Bekannter von mir. War längere Zeit in Bonn, als ich noch als kleiner GA-Angestellter versuchte, die Illustrierten-Agenturen dazu zu bewegen, gelegentlich Fotos von mir zu bringen.“
Der Gefechtslärm verstärkte sich. Zudeck-Perron zog die Fenster zu.
„Die Raketen stammen wohl mehr von der NATO“, sagte Anica, „als von den UN.“
36 Der russische Diplomat
Im Fahrstuhl fasste eine ungehaltene Anica den festen Vorsatz, die nächste Gelegenheit zu nutzen, Paul Zudeck-Perron Mores beizubringen. Wir Frauen dürfen machohaftes Gebaren niemals mit Schweigen und tatenlos übergehen, sagte sie sich. Heute ist vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt, aber irgendwann in allernächster Zeit...
Aus dem Lift tretend wurde sich Anica schlagartig wieder der gänzlich ungefälligen Seite des Evropa bewusst. Das Hotel war zu luxuriös und die Speisekarte zu üppig
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