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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Straße hinaus, wo wenig Geschäftigkeit herrschte. Kein Wagen durfte vor dem Hotel parken, Militärpolizei beobachtete den Fußgängerverkehr. Die Bosnier kümmerten sich nicht viel um die strengen Sicherheitsmaßnahmen, sie hatten genug damit zu tun, auf sich selbst zu achten, um nicht einem Heckenschützen mit Zielfernrohr zum Opfer zu fallen. Der UN-Soldat hingegen nahm an, dass sie trotzdem alles sahen, hörten und wussten. Wir spielen mit den Fremden Blindekuh, dachte er, rechnen mit ihrer Unfähigkeit, uns zu durchschauen.
    „Herr Zudeck-Perron?“ Die Hostess am Empfangstresen schaute sich nach dem Schlüsselbrett um, obwohl sie wusste, dass der Gast auf seinem Zimmer war. Sie selbst hatte Anica verständigt, dass der Reporterkollege nicht allein sei, wie sie es der Deutschen gegen ein gutes Trinkgeld versprochen hatte.
In der Journalistin keimten Zweifel auf. Warum war sie gegen ihren Vorsatz hier? Weil sie neue Charakterzüge an ihrem Kollegen wahrgenommen hatte in seinem Umgang mit der schönen Brena? Womöglich hatte sie ihm bisher Unrecht getan mit ihrer wenig schmeichelhaften Meinung über seine Persönlichkeit. Nun, vielleicht war er ja schon wieder weg, und sie könnte verschwinden, ohne das Gesicht zu verlieren. Aber neugierig war sie schon...
    „Er ist oben“, gab die junge Frau sich selbst Antwort und reichte der achselzuckenden Journalistin den Telefonhörer, während sie die Nummer wählte. Ihr Lächeln entging Anica nicht, und sie erwiderte es mit einem Augenzwinkern.
    „Hallo, meine Liebe!“ meldete sich Zudeck-Perron überrascht. „Sie sind das!“
    „Falls ich störe...“, erwiderte Anica vorsichtig.
    „Wennschon“, entgegnete der Pressefotograf. „Sie dürfen das, jederzeit. Kommen Sie also herauf. Ich baue auf Ihre weltmännische Gewandtheit. Sie sind noch gar nicht dazu gekommen, mir von Ihrem kleinen Urlaub mit Ihrem Freund zu erzählen.“
„Ich muss vorher nur rasch ein Funktelefongespräch erledigen“, erwiderte Anica in einer plötzlichen Eingebung, gab den Hörer zurück.
Sie bediente ihr Handy, erreichte Burkhart auf Anhieb. „Du“, begann sie unsicher, „ich muss dir...“
    „Ich weiß“, versetzte Burkhart mit Bitternis in der Stimme. „Sie haben Mary-Jo abgeschossen. Aus Kiseljak erfahre ich nur, dass sie ihren Fallschirm hätten. Man weiß nicht, ob sie noch lebt. Also gilt sie als vermisst. Ich hab mich beurlauben lassen; ich weiß nicht, was ich machen soll. Komm rüber, wenn du willst.“
    „Also bis dann“, gab Anica zurück. „Halt die Ohren steif, hörst du! Und mach keine Dummheiten! Glaub mir, sie hat es gewiss überlebt.“
    Der Lift glitt geschwind hoch zur vorletzten Etage. Anica hatte die Vergrößerung des Bildes mit Mary-Jo als Kriegsgefangene dabei, bei Raif angefertigt, hernach wollte sie Burkhart besuchen. Doch jetzt verdrängte sie den Gedanken an ihn, dachte über Weltmänner und Gentlewomen nach, als sie Zudeck-Perrons bereits offenstehende Zimmertür fand. Der bullige, schwitzende Fotoreporter kam ihr entgegen. In einem Film müsste ihn Rhys-John Davies darstellen, überlegte Anica, oder vielleicht doch lieber Manfred Krug? Der Zynismus des Engländers war rein äußerlich, beim deutschen Schauspieler strahlte er von innen heraus. Die Charaktere sind gespielt; vom Bühnenkünstler wird – wie bei aller Kunst – eine eigene Welt erwartet, eine überraschende, eine eigenmächtige, die nicht darstellt, sondern erschafft. Auf diese Figur wäre ich gespannt, dachte Anica und sah den rheinländischen Reporter von oben bis unten an. Zudeck-Perron wischte sich rötliche Haarsträhnen von der vernarbten Stirn, mit denen er seine Halbglatze zu verdecken pflegte; er trug zu schwarzem Netzhemd hellbunte Bermudashorts, beides völlig durchgeschwitzt, seine nackten fleischigen Zehen steckten in blauweiß gestreiften Kunststoffsandalen. Von dem Fotoreporter ging der herbsüßliche Duft eines aufdringlichen Eau de toilette aus.
    „Was zu trinken ist schon eingegossen“, sagte er. „Im Goethe-Institut gibt´s Asbach.“ Er schloss die Tür hinter Anica, wobei er trompetend lachte, und wies auf zwei bauchige Gläser. Die Reporterin schielte in den hinteren Teil des Apartments, ließ es sich gefallen, dass er ihr mit beiden Händen auf die Oberarme patschte. „Gut schauen Sie aus“, meinte er aufgeräumt.
Anica blieb unschlüssig stehen und blickte auf die weitere Person, die in dem Raum erschien, ein eher junges Mädchen, nicht hübsch, nicht

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