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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Eingeweide zu zerreißen schien, und ihm wurde bewusst, dass er einen langen, qualvollen Tod würde sterben müssen. Er wollte sich selbst den Gnadenschuss versetzen, doch war der Lauf seines Gewehrs zu lang. Wenn er die Mündung an der Schläfe oder in den Mund ansetzte, konnte er den Abzug nicht mit dem Finger erreichen, sooft er es versuchte, immer blieb ein Abstand von weniger als einem Millimeter.

40 Auffrischender Wind
     
    Das Telefon schlug zweimal kurz an und nach einer Minute nochmals, und es dauerte eine geraume Weile, bevor Anica begriff, dass sie aufgrund des Weckrufs schlaftrunken aus dem Bett gesprungen, auf den Parkplatz gelaufen, mit ihrem Roller wie in Trance unterwegs war und zuvor geträumt haben musste. Mit Schaudern dachte sie daran, dass das Traum-Gesicht vorhin im Spiegel ihr eigenes Antlitz gewesen war.
    Das Aerodrom Vojkovic war hermetisch abgeriegelt, als die Reporterin kurz vor Sonnenaufscheinung bei dem Wachhäuschen vorfuhr und ihren Motorroller unter der Birke am Eingang abstellte. Lärmend flog eine Schar Krähen auf. Der Posten warf einen Blick auf ihre Papiere und ließ sie zu einem Oberleutnant bringen, der höflich zwei Finger an den Helmrand legte, bevor er die Erlaubniskarte mit dem Pass der Journalistin verglich. „Okay, Ma´am“, sagte er forsch. „Sie schließen sich meiner Gruppe an. Meine Befehle gelten für Sie ebenso wie für meine Soldaten. In Ordnung? Ich möchte keinen Ärger mit Ihnen haben, Madam.“
    Er zählte vielleicht dreißig Jahre, und der Dialekt, mit dem er die Anrede „Ma´am“ betonte, wies ihn als Südstaatler aus. Er musterte die Journalistin abschätzend, verzog seinen ein wenig zu weichen Mund. „Waren Sie schon mal im Hochkarst?“
    Anica fasste den jungen Mann ebenso taxierend ins Auge, beschloss intuitiv, nicht den Underdog zu spielen. „Ich bin kein Greenhorn“, erwiderte sie, „falls Sie das meinen.“
    „Aber Militärerfahrung haben Sie keine, nein?“
    „Ich war einige Jahre im Dienst der Kriminalpolizei.“
    „Aha“, sagte der Oberleutnant, „dann wissen Sie zumindest wie Leichen aussehen. Zu Ihrer Beruhigung: So lange, bis sie zu riechen beginnen, pflegen wir niemals zu bleiben.“ Er zog mit lässiger Gebärde eine Zigarette aus der Brusttasche und hielt sie der Journalistin hin, die dankend ablehnte. „Uns bleibt noch etwas Zeit. Bei welcher Kommission sind Sie: Diebstahl, Sitte, Betrug?“
    „Mord“, entgegnete Anica, sah auf das Rollfeld hinüber. Am Rand standen die Helikopter in drei langen Reihen, davor die Soldaten in kleinen Gruppen, rauchend, plauschend.
    „So, so“, sagte der Oberleutnant beeindruckt. „Trotzdem muss ich Ihnen noch einiges erklären. Der Auftrag des UN-Oberkommandos für uns lautet, von vier Seiten gleichzeitig anzugreifen. Stellen Sie sich ein großes, gleichschenkliges Sechseck vor, gebildet aus Bergkämmen und Gipfelhöhen mit dem Flächeninhalt von zehn Quadratmeilen. Genau in der Mitte dehnt sich die Enklave auf beiden Flussufern bis zu zwei Seitenschluchten aus und drum herum liegt noch ein Regiment serbischer Belagerer. Laut Luftaufklärung, Stand null Uhr, heute Nacht. Gegenwärtig fliegt die Air Force einen Raketenangriff. Sobald die Düsen das Zielgebiet verlassen haben, sind wir zur Stelle und werden abgesetzt.“
    „Wann soll das Unternehmen beendet sein?“
    „Sie haben doch keine Angst?“ fragte er spöttisch. „Aber dasselbe wollte vor wenigen Minuten Ihr Kollege auch wissen. Und die Chose hat noch nicht mal begonnen. Nun, wir rechnen damit, bis Mittag den entscheidenden Schlag geführt zu haben. Genauer lässt sich das im Vorhinein nicht sagen.“
    „Ist mein Kollege schon weg?“
    „Ja, er ist mit einem anderen Verband gestartet. Warten hat der nicht gelernt. Hoffentlich macht er sich nicht in die Hosen. Aber wenn Sie mich fragen – Sie werden mehr von der Geschichte haben. Bei uns erleben Sie das, was Sie brauchen können. Mit Ihrer Erfahrung bei der Kriminalpolizei werden Sie ja wohl nicht Schi...schlapp machen, ich meine mental.“ Er tippte mit einem Finger an die Stirn. „Ihr Kollege, Mister Zudeck-Perron, wird mit der Einheit, der er zugeteilt ist, etwas weiter im Hintergrund bleiben, auf der Karsthöhe noch. Die Leichen wird er mit seinem Teleobjektiv einfangen müssen, während sie für Ihre TV-Kamera noch nicht einmal kalt sein werden. Okay?“
    Anica nickte ab. Sie lächelte, obwohl sie ein riesengroßes Loch in ihrer Magengegend ahnte, ein Tonnengewicht

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