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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Hause nicht? Wenn ich das hier nicht filme, wie soll es dann bekannt werden, he!“
    „Regen Sie sich nicht gleich so auf“, knurrte er eine Spur moderater. „Wir haben bloß was gegen Aasgeier.“
    „Du Spatzenhirn“, schimpfte die Journalistin scharf, „dann sag mir, wer denen daheim klarmachen soll, was für Opfer wieder gebracht werden! Na, wer, wenn nicht wir?“
    „Diesmal haben wir sie!“ schrie der General auf der Pritsche. „Keiner darf entkommen!“ Dann sackte er plötzlich zusammen.
Er blickte auf seinen Stumpf und wusste, dass alles zu Ende war. Er machte sich nichts mehr vor: Nie hatte er es richtig verstanden, anderen zu befehlen außer sich selbst und seinen Staffelkameraden. Als er General wurde, war er im Grunde doch der forsche Fliegerleutnant geblieben. Untadelige Führung und mit Blut nicht nur im Golfkrieg verdiente US-Orden, errungene Ehrenzeichen und NATO-Medaillen hatten ihm zu seinem kometenhaften Aufstieg verholfen. Er galt als der „Erfinder“ der penetrierenden taktischen Luftaufklärung und der deterrence force, kurz DFOR, der sogenannten „Abschreckungstruppe“, die allerdings nie unter dieser Bezeichnung, sondern innerhalb der SFOR, der stabilisation force, „Stabilisierungstruppe“ eingesetzt wurde. Dem findungsreichen Kommandeur wurde jedoch niemals bewusst, dass die goldenen Generalssterne ihm ebenso wenig wie anderen das Können verliehen hatten, Tausende von Menschen und Hunderte von Flugzeugen zu führen. Er empfand zum ersten Mal in den Jahren, in denen ihm sein Erfolg zu Kopf gestiegen war, das Groteske und die Tragik seiner Entwicklung und das ganze Ausmaß der Schuld, die er leichtsinnig auf sich geladen hatte. Die Schuld eines Menschen, der im Laufschritt, ohne sich umzusehen, den Gipfel der Laufbahn des Militärdienstes erstürmt hatte. Ihm kam nunmehr in den Sinn, mit welcher Sorglosigkeit er jeweils dem nächsten Kriegseinsatz entgegengeblickt und wie unzulänglich und gedankenlos er Kommando geführt hatte; er erinnerte sich an manchen seiner zum Teil widersprüchlichen Befehle, er erkannte sich als einen Karrierist, dem nicht der Nutzen des Staates, also der Menschen seiner Gesellschaft, am Herzen lag, sondern nur seine eigene Beförderung. Stets war er bereit gewesen, heute diese, morgen jene Meinung und Lehre zu unterstützen, aus weiß schwarz zu machen und aus schwarz weiß. Geschickt hatte er es verstanden, sich dem anzupassen, was – wie ihm dünkte – „oben“ gefallen konnte, und er hatte sich nicht einmal geniert, ganz offenkundige Irrtümer zu vertreten, die auf Fehleinschätzung und Unkenntnis von Tatsachen fußten, über die er selbst bestens im Bilde war. Jetzt wünschte er nichts sehnlicher, als dass die Operation des Trümmerbruchs vorbei wäre und er in einem ruhigen Zimmer auf weißen Laken liegen und sich erholen könnte mit einem unversehrten Knie, das ihm vielleicht doch die Präsidentschaftskandidatur ermöglichen würde.
    Es kostete ihn große Anstrengung, aus einem Rest von Ehrgefühl heraus diese Gedanken, die manche Menschen im Krieg viel öfter heimsuchte, als sie es selbst zugaben, aus seinem Kopf zu verdrängen. Aber nicht die Tatsache, dass ihm diese Gedanken beschämend und feige erschienen, half, sie aus dem Gehirn zu vertreiben, sondern die unvermittelt eintretende Ohnmacht befreite ihn vorerst von den zermürbenden Martern.
    Der Oberleutnant zwängte sich an der Journalistin vorbei ins Zeltinnere. Immer noch trudelten Helikopter herunter und setzten auf den schmalen Felskuppen neben dem Fluss auf. Soldaten perlten im Sprunglauf aus den Luken, formierten sich zu langen Ketten und zogen geduckt zum Wasserlauf. Gefechtslärm war nicht mehr zu hören. Der Sonnenball stand schon hoch auf den Schultern des südlichen Bergkammes, sein Licht flutete grellweiß und hitzig, und der lila-rußfarbene Schatten des Bergmassivs zeichnete sich scharf und stetig schmaler werdend am Fuße der Steilhänge gegen die siedende Talsohle ab. Anica erkannte den Soldaten, der ihr entgegengelaufen kam, erst wieder, als er ihr beinahe auf den Füßen stand, der Mann mit dem eckigen, schmalen Gesicht, der sich im Helikopter erbrochen hatte. Er trug jetzt eine Lederkappe sowie eine Gletscherbrille und hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Sherpa Tenzing Norgay, dem eigentlichen Erstbesteiger des Mount Everest. So schien er sich auch zu fühlen – ganz hoch oben.
„Ich soll Sie holen, Ma´am“, sagte er in gewichtigem Tonfall. „Befehl vom

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