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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Oberleutnant. Sie müssen am Ende des Zuges gehen. Was sein muss, muss sein.“
    „Wie... jung sind Sie?“ fragte Anica lächelnd.
    „Zwanzig, Madam. Ich habe alle Prüfungen bestanden, und jetzt bin ich für Ihre Sicherheit verantwortlich. Na, wenn das nichts ist. Ich heiße übrigens Nymiah. Corporal Noah Nymiah.”
    „Okay, Noah, was hatten Sie vorhin in der Maschine mit Ihrem Magen zu bestehen?“
    „Nichts besonderes, Madam“, entgegnete er mit rauer, gleichwohl jungenhafter Stimme und warf ihr mit gesenktem Kopf einen schiefen Seitenblick zu. Er war sichtlich etwas herabgestiegen. „Jedermann muss mal kotzen. Wenn Sie Soldat wären, ginge Ihnen das auch so.“
    Jedermann, dachte Anica, ja, so ähnlich ist es mir auch gegangen. Zwei Jahre lang. Mit dem Polizeichef im Helikopter als mobile Leitzentrale über Berlins Walpurgisnachtdemonstranten habe ich mich erst allmählich daran gewöhnt. Und solange es Menschen gibt, die nicht wissen, ob sie die nächste Stunde überleben, wird es welche geben, die bei dem Gedanken daran bleich und zittrig werden und das tun, was du in der Libelle gemacht hast, mein Junge, und sie brauchte nicht einmal in Schräglage trudeln.
    Sie überquerten den Fluss. Die Furt war seicht, doch die Wasserflut reißend und strömte ihnen beißend kalt über die Waden. Drüben wurden sie von einem Sergeanten eingewiesen. Die Einheit des Oberleutnants war nur knappe zweihundert Meter in den Talkessel eingedrungen. Die Soldaten zogen in Abständen von einer halben Armlänge vorwärts. Voran schritten Minensucher mit elektronisch weiterentwickelten Förster-Sonden. Die Serben waren dafür bekannt, dass sie sich hervorragend auf das Verminen von festgebackener Erde oder Felsuntergrund verstanden. Man hatte erlebt, dass ein Trupp in solchem Gelände weniger als fünf Meter in einer Minute vorankam. Unter jedem Stein, in jeder Felsspalte konnte eine Mine liegen. Die Serben bauten Schützenminen russischer Machart um, füllten sie mit metallenem Hackschrot oder Glasscherben aus importierten Recycling-Abfällen. So gefürchtet sie waren, wurden sie dennoch von den Soldaten aufgespürt, auch wenn man sie teflonbeschichtet hatte. Die chipgesteuerten Warngeräte am Ende der länglichen Stäbe mit ihren abgeknickten Ringen zeigten geringste Mengen von Metall an.
    Anica lief auf Nymiah auf, da das Glied ins Stocken geraten war. Der Oberleutnant blickte sie missbilligend an. Sein Gesicht war blass, aber von tausend roten Äderchen durchzogen. Bereits nach der kurzen Einsatzdauer hatten große Schweißflecke auf Brust und Rücken seine Kampfuniform in einen gescheckten Tarnanzug verwandelt aus beigen und braunen Flecken.
„Wenn Sie sich wieder von meiner Einheit entfernen wollen“, zischte er, „melden Sie sich vorher bei mir ab und warten auf mein Okay, klar?“
    Anica zeigte ihm nickend die Zähne. Ein Lächeln kostete so wenig wie es eingebracht haben würde, ihm zu widersprechen. Sie kannte diese Art Vorgesetzte, die sich durch ihre Befehlsgewalt über Menschen in einen Zustand selbstgefälliger Überheblichkeit versetzten. Unzufriedenheit mit anderen verschaffte ihnen stets Befriedigung über sich selbst und sie tolerierten eine Handlungsweise, die ihre Order verstohlen überging, eher als offenen Widerspruch. In der Tat zeigte sich der junge Offizier alsbald so gut wie versöhnt.
    „Im Krieg kann man nicht beliebig von einem Ort an den anderen wechseln, um stets dort zu sein, wo am meisten los ist“, mahnte er in moderatem Ton. „Apropos: Der General, wie geht es denn dem Alten?“
    „Er wird es überleben“, entgegnete sie, „wenn der Arzt keinen Fehler macht.“
    „Es ist skandalös“, schimpfte der Offizier. „Bei dem ganzen Unternehmen gibt es bisher keine Verletzten, geschweige denn Verluste. Ausgerechnet den jungen General muss es erwischen.“
    „Es sieht so aus, als gäbe es die Gegenpartei nicht“, sagte Anica. „Wenn sich die Luftaufklärung nun geirrt hat und die Serben sich längst zurückgezogen haben?“
    Der Oberleutnant schüttelte heftig den Kopf. „Die ganze Enklave samt Dreimeilenzone drumherum steckt voll von den orthodoxen Hunden. Die fühlen sich hier sicher und bleiben stur auf jedem Fleckchen Boden, das sie gewonnen haben. Aber wir werden sie schon aufspüren.“
    Es sah nicht danach aus, als ob es gelingen sollte. Gleichwohl machten zwei Soldaten ihre Fotoapparate schussbereit. Länger als eine halbe Stunde schon drang die Truppe in den Talkessel ein, ohne

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