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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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dass ein Schuss fiel oder sich eine feindliche Uniform zeigte. Allen Gruppen war ein Pionier zugeteilt, der mit langem, spitzem Eisenstab jeden Zentimeter Boden, jeden Felsspalt nach getarnten Unterständen abstocherte. Bei anderen Einsätzen hatte man – mehr zufällig – natürliche, miteinander verbundene Höhlensysteme von beträchtlicher Länge entdeckt, deren Einstiegsluken und Schießscharten so meisterhaft getarnt waren, dass man sie nicht erkennen konnte. Nun stocherten die Pioniere unermüdlich auf der festgebackenen Erde und dem karstigen Felsboden herum, und es hatte sich noch keiner der hölzernen, mit Schotter bestückten Lukendeckel oder gar eine Schützengrotte gefunden, als unvermittelt ein Schuss fiel. Er kam seitlich von oben, etliche hundert Meter links von dem Trupp, mit dem die Journalistin vorrückte.
    „Deckung!“ brüllte der Oberleutnant. Der Funker warf sich als letzter neben ihm zu Boden, nahm verstohlen einige große Schlucke aus seinem Flachmann. Der Funksoldat schien ein ständiges Lächeln zur Schau zu tragen im Gesicht mit den hochgewachsenen Mundwinkeln; wie ein Delphin, dachte Anica, dem niemand ansah, ob er sich nicht in Wirklichkeit quälte. Einige Sekunden später bellte MG-Sperrfeuer und spritzte Fontänen aus Gesteinssplittern vermischt mit den Querschlägern auf. Dumpfes Knallen von Handgranaten drang herüber. Der Oberleutnant funkte unentwegt den Führer der Nachbarkompanie an und erfuhr schließlich, dass es dort einen Verlust durch Kopfschuss gegeben hatte.
    „Das ist ihre Kampfstrategie“, sagte der Oberleutnant mit glühendem Kopf. „Schießen einen einzelnen Mann ab und verschwinden wieder. Eine hinterhältige Art Krieg zu führen. Wenn sie aufständen wie wirkliche Männer, hätten unsere Maschinenpistolen jedenfalls etwas zum Zersägen. Doch so...“ Speichel tropfte aus seinem Mundwinkel, er spuckte aus.
Schießbudenkrieger, dachte Anica und musste lächeln. Wenn man gegen einen zahlenmäßig und technisch überlegenen Gegner kämpfte, musste die Taktik natürlich diesem Kräfteverhältnis entsprechen. Auf der anderen Seite gingen auch die islamischen Kämpfer Bosniens nicht von der hierzulande gebotenen Strategie ab, um dem Feind die Sache so schwer wie möglich zu machen. Und eine kampferprobte Afghanen-Brigade bildete die beispielgebende Avantgarde für die Partisanen-Veteranen und ihre unbedarften Söhne.
    Nachdenklich hörte sie den Soldaten zu, wie sie über Krieg und Tod stritten, darüber, wie man Menschen umbrachte, und nicht zuletzt darüber, ob man dabei gut oder böse sein konnte. Sie dachte daran, wie schlecht sich der Mensch im Grunde genommen für das Leben eignete, das Krieg genannt wurde.
    Mochte sie selbst es versuchen, sich an dieses Leben zu gewöhnen, mochten sie auch andere dazu anhalten, besonders viel kam nicht dabei heraus, wenn man nicht nur das Verhalten des Menschen berücksichtigte, in dem sich nach und nach die im Krieg verbrachte Zeit auszuwirken begann, sondern auch seine Worte und Taten, seine Gedanken und Gefühle in Augenblicken der Ruhe und der Stille, wo er, wenn er die Augen schloss, unbewusst buchstäblich aus dem aberwitzigen Nichtsein ins normale menschliche Leben zurückzukehren vermochte.
    Man konnte zwar im Kampf lernen, jedoch war es unmöglich, sich an den Krieg zu gewöhnen. Wenn man betroffen war, konnte man so tun, als hätte man sich an ihn gewöhnt, und mancher verstand sich sehr gut darauf, während andere dazu nicht in der Lage waren und es wohl auch niemals sein würden.
    „Kennen Sie keine Angst vor dem Tod?“ fragte die Reporterin den Oberleutnant.
„Einer, der Todesangst nicht kennt“, erwiderte der Offizier und spuckte nachlässig auf die Erde, „oder vermeint, sie nicht zu kennen, kann nicht kämpfen und keine Untergebene vernünftig führen. Wer Todesangst nicht selbst empfunden hat, wird nie wissen, was er sich und anderen zumuten darf und was nicht. Wer kämpft und Befehle gibt, muss wissen, welche Rolle die Angst bei der Ausführung der Kampfbefehle spielt.“
    „Angst ist psychisch lebensnotwendig wie der physische Schmerz, der Verletzungen des Körpers anzeigt“, sagte Anica.
    „Eben. Wer die Bedeutung der Angst überschätzt, wird weniger fordern, als er kann und muss.“ Er sagte das mit dem Stolz eines Menschen, der seinen Wert kennt.
    „Und wer sie unterschätzt, wird zu viel fordern, wird fordern, was undurchführbar und damit sinnlos ist.“
    Der Offizier zog die Augenbrauen

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