Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Bergausläufers geschürft, mehr hatten sie nicht angerichtet. Die kümmerlichen Holzgewächse waren angesengt, die Nadeln verbrannt, kräuselnde Rauchfähnchen von Schwelbränden züngelten auf, rissen ab, da sie keine Nahrung mehr fanden.
    „Raketen sind gut für Ortschaften“, sagte der Oberleutnant zu Anica, als sie mit dem Corporal auflief, weil man Halt machte, um auf die Rückkehr von zwei Kundschaftern zu warten. „In Felsgelände sind die Dinger so gut wie nutzlos. In belegten Ortschaften hingegen, auch in offenen Feldstellungen, da mischen sie alles ordentlich auf. Aber das hier ist so, als wenn man mit dem Hammer in einem Basaltbruch arbeitet. Es wird morgen und in vier Wochen immer noch wie eine Mondlandschaft aussehen.“
    Anica erinnerte deutlich die Bilder von eingeschlagenen Scud-Raketen, die sie selbst geschossen hatte. Sie hörte den Oberleutnant über Funk Nachbareinheiten und Kommandantur abrufen. Anstelle des Generals leitete ein Colonel die Operation von einem Befehlsstand jenseits des Flusses aus, nahe dem Sanitätszelt in einer Felsengrotte.
    „Überall ist die Lage gleich“, erklärte der Oberleutnant. „Nur hier und da hat ein vereinzelter Schuss, ein verirrter Querschläger einen Mann getötet, aber nie haben sie den Schützen aufspüren können.“
„Hat denn auch einer Ihrer Leute dran glauben müssen?“ fragte Anica.
„Beschreien Sie´s nicht“, entgegnete er knurrend, schüttelte den Kopf. „Möchte bloß wissen, wie sie´s anstellen. Die Kerle müssen in der Nähe sein. Die Schüsse beweisen es. Sie spielen mit uns Katz und Maus. Eine Wahnsinnsidee, uns überhaupt ins nackte Gefels zu schicken.“
    „Noch verrückter, freiwillig hinzugehen“, raunte Nymiah für den Vorgesetzten unhörbar.
    „Man sollte die Sache den Bombern überlassen. Old Goldwater hat schon recht gehabt, als er forderte, das Feindgebiet mit Atombomben kleinen Kalibers abzudecken, systematisch, rasterförmig.“
„Sein Vietnam-Problem hat er damit nicht gelöst“, meinte Anica.
„Das war was anderes“, hielt der Oberleutnant dagegen. „Das war Dschungel, Morast und Tropenschwüle...“
    „...die das Napalmfeuer im Keim erstickten, bis sie Agent Orange nahmen...“
    „Es ist lange her“, meinte der Amerikaner. „Im Tropenurwald.“
    „Am Golf war es der Wüstensand“, erinnerte Anica. „Wann war das nun wieder?“
    Der Offizier machte eine abschätzige Handbewegung. „Zeit für einen Imbiss.“
    Die Männer begannen, ihre kalten Fleischkonserven zu essen und schälten Hartbrot aus Kunststoffpackungen. Jemand verrührte Kaffeepulver im Essgeschirr mit abgekochtem Wasser aus einer Thermos-Feldflasche, doch das Gebräu schmeckte fader als die pure Flüssigkeit.
    „Balkanesen sind ein eigenes Völkchen“, hub einer an zu erzählen, er kaute und schmatzte dabei ungeniert. „Vor kurzem habe ich zwei hiesige Offiziere über Funk sprechen hören. `Gehst du zum Angriff über?´ fragt der eine. `Ja´, antwortet der andere. `An welchem Flügel und in welcher Richtung führst du den Schlag?´ - `Am linken Flügel führe ich den Schlag in Richtung von oben nach unten, weil wir das Haus schon besetzt haben; nur im Keller sitzen noch Serben. An der rechten Flanke führe ich ihn von unten nach oben, denn das Erdgeschoss ist in unserer, das Stockwerk darüber in ihrer Hand.´ Wenn ich das meinem Daddy erzähle... Er stammt von hier.“
    Allgemeines Gelächter brach aus. Die Reporterin lächelte ebenfalls. Das hatte sich in einem Vorort Sarajevos abgespielt und war auch in einer Zeitung gestanden.
    „Also stimmt es, was die Zeitungen schreiben, Oberleutnant?“ fragte ein weiterer Soldat. Der Offizier nickte.
    Jeden Frontsoldaten schien das vertraute Gefühl zu bewegen, dass man von Herzen glauben möchte, alles großartige, was in den Zeitungen steht, sei es die volle Wahrheit, während man doch weiß, dass die volle Wahrheit dessen, was man persönlich gesehen und durchgemacht hat, wohl niemand restlos nachzufühlen vermag.
    Den Leuten gingen die verschiedensten Dinge durch den Kopf. Die einen waren mit ihren Gedanken bei etwas Wichtigem, bei Frau, Kindern, Eltern, andere dachten an Unwichtiges, wie sich ein Spielverlust wettmachen ließ oder wann man wohl wieder ein Mädchen kennen lernen und wie es wohl aussehen mochte. Bei einigen sprangen die Gedanken von dem einen zum anderen. Einmal ließen sie ihren Gedanken freien Lauf und ein andermal gaben sie sich Mühe, mit Gewalt an etwas zu denken, was sie