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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Zeit völlig stillzustehen, die Ewigkeit zu Sekundenbruchteilen verdichtet. Und da ist der Knall! Ich verspür kurz Freude, ehe ich das Bewusstsein verlier. Das ist der letzte Blitz, der mein Auge jemals durchdringt. Seither hab ich das Tageslicht niemals wieder richtig erblickt. Erst später, im Krankenhaus, erfahr ich, dass jene Rakete, in welche ich die Hoffnung des Rächers gesetzt hab, fehlerhaft gewesen ist. Ob wegen eines Herstellerfehlers oder zu langer Lagerung, wer kann das wissen? Es ist nun auch nicht mehr von Belang. Jedenfalls ist die Rakete in einer Entfernung von wenigen Metern explodiert. Und statt des amerikanischen Flugzeugs hat sie meinen Kopf getroffen.“ Mit Fingern tastete Mioslav die Narben der Wunden an dem zusammengeflickten Schädel ab. Ein Auge war vollkommen verloren und blieb geschlossen, mit dem anderen, dem rechten, konnte er kaum mehr als Licht und Schatten unterscheiden. „Wenn ich nur lesen könnt!“ klagte er in ziemlich heftigem Tonfall. „Warum hab ich denn so viele Bücher gesammelt, wenn ich sie jetzt nicht zu lesen vermag? Ich könnt sämtliche Namen der Schriftsteller und alle Titel der Werke aufzählen, die in meinem Bergdorf auf mich warten. Alles ist systematisch, schnurgerade geordnet, klassifiziert wie eine Bibliothek. Über jedes dieser Bücher, das ich aus der Feuersbrunst des Krieges geborgen hab, könnt ich eine besondere Geschichte erzählen. Ich erinner mich genau, wo und wann ich es gefunden und von welcher Brandstätte ich es gerettet hab. In meinem Gedächtnis bewahr ich die Einbände, die Formate, die typografische Gestaltung. Diese Bücher sind meine ganze Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende, haben immer wieder den Glauben genährt auf eine künftige Zeit des Friedens, in der ich zu ihnen zurückkehren und mit ihrer Hilfe die Hölle würd vergessen können. Obwohl ich bisweilen befürchtet hab, sie würden meine Erinnerung an diese Hölle wach halten.“ Wieder schwieg der Bettler kurz, bevor er schweratmend, mit schweißbedeckter Stirn fortfuhr: „Oft noch träum ich noch von Abdil. Er ist dann ganz bleich, durchsichtig, wie aus dem Jenseits. Und flüstert mir ins Ohr: `Mein lieber Mioslav, hier, wo ich jetzt bin, fragt mich keiner, ob ich das Kreuz trage oder den Halbmond. Der Krieg bringt kleinen, einfachen Leuten nichts Gutes. Er ist eine grausame Strafe für die Menschen. Er bringt den Tod oder Narben, die so lange dauern, wie der Tod selbst.´ Und bevor ich mich fassen kann, um Abdil etwas zu fragen, entschwindet er jedes Mal in einem Wolkennebel.“ Plötzlich hielt Mioslav inne, holte mit voller Lunge Luft und fuhr mit schmerzlich berührter Trauerstimme fort: „Bevor er in den Höhen verschwindet, sagt Abdil dann immer noch: `Du, Mioslav, bist am Leben geblieben, doch deine Augen sind von Dunkelheit geschlagen, trüb und leer. Sie werden nie wieder in jene Bücher hineinschauen können, die du zwischen Flammen und Geschossen gesammelt hast. Ganz vergeblich, mein lieber Mioslav. Ein scheinbarer Kriegsgewinn für einen gewöhnlichen Sterblichen ist nur eine Falle des Scheitans, in die man leicht hineinstürzt, aus der man freilich nicht mehr herauskommt.“ Der Bettler verstummte jäh. Anica sah ihn an, drei dicke Tränen glitten seine Wangen unter dem lädierten Auge herab, rannen in seinen dichten, schwarzen Bartflaum. Es schien ihr, als sähe sie in ihnen sein fernes, schönes Dorf, und jene verfluchte Bibliothek und diese großen schwarzen Blechvögel.
Sie drückte ihm ein kleines Bündel 1-Dollar-Scheine in seine tastenden Hände und legte ihm zum Zeichen des Grußes den Arm auf die Schulter. Von Natur aus gesprächig, erwiderte er ihn lediglich mit einem zittrigen Druck seiner kühlen Hände.

59 Die Frauen retten den Mann
     
    Dragan Miculic hatte keine Ahnung, wie lange er bewusstlos dagelegen war. Zehn Minuten oder eine Stunde? Das erste, was er empfand, als er wieder zu sich kam, war völlige Stille. Er hob den Kopf, stützte sich auf die Arme, setzte sich mühsam auf. Mit den Handrücken wischte er sich das geronnene Blut aus den Augen. Blinzelnd blickte er sich um. Weit und breit war niemand zu sehen.
    Warum in aller Welt haben die Kerle mich abgeschossen? fragte er sich. Warum haben sie mir nicht geantwortet, als ich ihnen wie üblich meine Meldung machte? Und was sollte der wiederholte Funkspruch dieses Oberst Tom Karremans, mit dem er in starkem holländischem Akzent versprochene Luftunterstützung für Srebrenica von der NATO

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