Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
und mit glühendem Gesicht zu den Frauen auf. „Ob das gehen wird?“ fragte er skeptisch.
„Aber gewiss doch“, gab das Mädchen zurück und schaute Mary-Jo dabei an. „Wirst du das schaffen?“
Die Amerikanerin nickte. „Ich war einmal Jugendmeisterin im Gewichtheben“, entgegnete sie stolz.
„Dann los“, sagte das Mädchen.
Sie boten ein seltsames Bild, diese drei Menschen, die das waldgesäumte Tal hinabstiegen. Genau gesagt, gingen nur zwei von ihnen auf ihren eigenen Beinen, das kampferprobte Mädchen Lepa Brena, die Schöne, und die amerikanische Helikopterpilotin in Gefangenschaft Mary-Jo, die vor kurzem noch so erfolgreiche Staffelkommandeurin. Ihren dritten Weggefährten, den serbischen Flugkapitän Dragan Miculic, dem seine Kollegen die Frachtmaschine buchstäblich unter dem Hintern weggeschossen hatten, hielten die Frauen bei je einem von seinen Oberschenkeln, während der Fußverletzte die Arme um die Schultern der Damen legte, die tapfer mit ihrer menschlichen Fracht voranschritten.
Mary-Jo zählte insgeheim die letzten tausend Schritte, die noch bis zur Rast blieben. Wenn Lepa Brena zuweilen den Kopf vorbeugte, um sich mit dem Ärmel den Schweiß abzuwischen, der ihr in die Augen floss, sah sie neben ihrem linken Knie die Beine des Serben baumeln, den einen Fuß in einem Fliegerstiefel, den anderen, den er sich ausgerenkt hatte und der mittlerweile stark angeschwollen war, völlig nackt. Auch unter anderen Umständen wäre diese Last für die Frauen kaum zumutbar gewesen, doch die beiden geschwächten Angehörigen des zarten Geschlechts waren schon nach einer halben Stunde Marsch vollkommen entkräftet.
„Legt mich hin“, forderte Dragan die Frauen auf. „Eine von euch muss versuchen, mir den Fuß wieder einzurenken.“
Als der Serbe saß, die Hände an aus der Erde ragenden Wurzeln festgeklammert, hielt Mary-Jo ihn von hinten um die Taille gepackt, und Lepa Brena führte seine Anweisungen aus. Vor Anstrengung schweißtriefend, drehte und zog sie seinen Fuß nach vorn. Doch trotz all seiner Hinweise, die er vor Schmerz nur zwischen zusammengebissenen Zähnen herauszischeln konnte, gelang es dem Mädchen nicht, ihm den Fuß wieder einzurenken. Die Frauen tauschten noch die Rollen, aber auch Mary-Jo brachte es nicht fertig. Alle Leiden waren umsonst, sie mussten ihn wieder bei den Beinen in ihre Armbeugen nehmen.
So stapften sie wieder los und schleppten ihn. Stumm zählten ihre zuckenden Lippen die Schritte. Immer weniger verblieben bis zu der von ihnen festgelegten Rast: dreihundert, hundert, fünfzig...
„Dann lasst mich hier liegen“, stöhnte Dragan. „Für keinen von uns wird´s dadurch besser, wenn ihr Mädels euch meinetwegen so abquälen müsst. Für mich ist es leichter, wenn ich allein zurückbleibe.“
„Mund halten, Flughund!“ keuchte Lepa Brena empört, „sonst werde ich ernstlich böse. Tut so, als dächte er mehr an andere als an sich selbst.“
„Ich finde“, hechelte Mary-Jo, „dass er es ehrlich gemeint hat.“
„Ein Serbe?“ höhnte Lepa Brena. „Dass ich nicht lache!“
„Wenn wir gemeinsam unterwegs sind“, sagte Dragan, „müssen wir auch gemeinsame Entscheidungen treffen.“
„Auf einmal!“ hetzte Lepa Brena. „Im Handumdrehen ist er zum Demokraten mutiert. Also gut.“ Sie setzte sich ins Einvernehmen mit Mary-Jo durch einen verständnisinnigen Blick. „Dann ist das Ergebnis zwei zu eins für gemeinsamen Weitermarsch. Stimmt´s?“
„Richtig“, bestätigte die Amerikanerin. „Wie oft müssen wir noch rasten?“
„Höchstens dreimal“, erwiderte das Mädchen, fasste fester Dragans Bein und begann mit zusammengebissenen Zähnen zu singen:
„Der Tschetnik-Bagage keine Gnade,
Kein Pardon dem Hund, der uns verrät.
Träumten sich schon in Sarajevo zur Parade,
Doch wir sind längst da und sie kommen zu spät.“
60 Die sprechende Maske
Sie marschierten schweigend weiter. Die Siedlung unmittelbar unter dem Pass füllte das ganze Ende des Talkessels aus, ein Dorf mit spitzgiebeligen Häusern, deren hohe, spitze Holzdächer, die gruppenweise zusammenstanden, an mittelalterliche Holzschnitte, an vergilbte Stiche aus dem Dreißigjährigen Krieg erinnerten. An verschiedenen Stellen auf natürlichen Plattformen der Felsvorsprünge saßen langbärtige Wachposten, die ihre Hälse reckten nach den Ankömmlingen.
„Bei Allah, zwei hübsche Frauen hast du“, rief einer der Posten.
Seine Kameraden warfen grinsend lüsterne Blicke auf die
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