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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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einforderte und der erst beim fünften Mal beantwortet und mit der lakonischen Begründung „Morgennebel“ abschlägig beschieden wurde? Auch von der vollständigen Luftsäuberung über Bosnien war die Rede gewesen. Dragan Miculic rief sich die Situation noch einmal ins Gedächtnis, als er wie ein Berserker ins Mikro schrie, während er den Abfangjäger herandüsen und die Rakete auf sich zurasen sah. Er erinnerte sich daran, dass er, sich den Fallschirm umschnallend, es bis zur Luke geschafft und den Riegel zurückgerissen hatte, ein eiskalter Luftstrom ins Flugzeug geschlagen war, ehe er sich gebückt hatte und durch die Luke in die gähnende Leere getreten war. Der letzte Gedanke aber vor dem unsanften Aufprall auf dem Boden hatte Anica gegolten. Ihm war die Geschichte eingefallen, als sie sich auf dem Weg ins Stari Grad mit dem Motorroller ein gutes Dutzend Mal verfuhren. Und jedes einzelne Mal war besonders in seiner Art, nicht etwa, dass sie fortwährend die gleichen Runden gedreht hätten. Er lenkte ausnahmsweise und hielt es für unter seiner Würde, einmal anzuhalten, um nach dem Weg zu fragen. Eigensinnig fuhr er die Reifen des Rollers blank und probierte die absurdesten Varianten im lädierten Straßennetz Sarajevos.
    „Verdammter Macho!“ schrie Anica ihm von hinten ins Ohr.
    Während er die Reifen quietschen ließ, drehte er sich in voller Kurvenfahrt nach ihr um: „Du lieber Gott, siehst du gut aus...“
    „Guck dich um. Auf die Straße, du spinnerter Macho“, rief sie verzückt.
„Penisneiderin!“ brüllte er in einer engen Gasse. Die ersten Fenster gingen auf, etliche Köpfe wurden herausgestreckt.
    „Wieso soll frau auf etwas neidisch sein“, schrie Anica gegen den Fahrtwind zurück, „das der Mann für sie trägt?“
    Dragan musste jetzt noch lachen, er fasste sich an den Kopf, der blutüberströmt war und an einer bestimmten Stelle oberhalb der rechten Schläfe schmerzte. Er stellte sich ungeschickt und unvorsichtig dabei an, so dass seine Fingerkuppen an der abgefetzten Haut kleben blieben. Er schrie auf, als er die Fingerspitzen löste, Blut rann über seine Stirn.
    Er versuchte aufzustehen. Er taumelte, bekam nur mit dem linken Bein Halt und merkte, dass er sich den rechten Fuß ausgerenkt hatte. Behutsam ließ er sich wieder nieder, und instinktiv presste er die Hände gegen die Brust, zog sie erschrocken zurück. Auf dem verdreckten Unterhemd entdeckte er zwei Blutflecke, ehe ihm erst bewusst wurde, dass er seine Fliegerjacke nicht mehr trug. Er musste sie mit dem Fallschirmgeschirr abgestreift haben. Seine Augen tasteten die Umgebung ab, er entdeckte eine dunkle, noch feuchte Spur im welken Gras. Es war sein eigenes Blut. Er folgte robbend, mühsam und schmerzerfüllt, der Fährte seines Blutes nach bis zu einem großen, dunkelroten Fleck, den die Erde beinahe völlig aufgesaugt hatte. Von hinten vernahm er Schritte. Er lauschte, stellte sich schwankend auf die Füße, sah zwei serbische Soldaten auf sich zukommen. Der eine trug ein Gewehr, er war noch zwanzig Schritt weit entfernt, doch der andere war bereits ganz nahe herangekommen und hielt seine Maschinenpistole auf ihn gerichtet.
    „Halt!“
Dragan sah das wutverzerrte Gesicht des Serben, dessen aufgerissener Mund von einem Ohr bis zum anderen reichte. Der Soldat schien bereit, ihn sogleich über den Haufen zu schießen. Dragan hob die Hände und sprach beschwichtigend auf den Landsmann ein.
    „Maul halten, du verfluchter amerikanischer Spion!“ brüllte der Serbe. „Dein letztes Stündlein hat geschlagen!“
    Dragan fragte sich, warum man ausgerechnet an ihm die Einhaltung des Flugverbotes exemplarisch durchsetzen wollte und warum gerade er jetzt durch die Hand seiner Landsleute dran glauben sollte. Hätte mich gern mit Anica drüber auseinandergesetzt, dachte er, sie hat Sinn für Ironie und manches mehr.
    Doch in dem Augenblick, als der Serbe den Finger krumm machen wollte, knallte ein Schuss auf. Der serbische Soldat sackte tödlich getroffen in sich zusammen. Ein weiteres Mal wurde geschossen, seinen Kamerad ereilte das gleiche Schicksal. Fassungslos sah Dragan sich um und blickte in die entschlossenen Gesichter zweier junger Frauen.
    Das Mädchen sicherte das Gewehr, warf es auf den Rücken und machte sie miteinander bekannt.
    „Mit meinem ausgerenkten Fuß kann ich keinen Schritt laufen“, erklärte Dragan.
    „Wir werden dich tragen, Flughund“, erwiderte Lepa Brena.
Dragan blickte auf die Ellenbogen gestützt

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