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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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klappende Schädel. Die Journalistin fühlte sich selbst wie ein Gespenst, erschrak vor sich selbst, vor ihren Händen, vor ihrem Körper, so, als hätte sie ihn verlassen. Äußerlich wirkte sie hart, wenn auch geistesabwesend, innerlich vibrierte sie noch vor Erregtheit.
    Unweit des Hotels Evropa wurde die Reporterin aufdringlich angebettelt von einem Mann jugendlichen Alters, der sein linkes Auge eingebüßt hatte; auch das rechte trug tiefe, hässliche Verletzungsspuren. Es kam ihr vor, als wäre sie ihm irgendwo schon einmal begegnet. Die Reporterin, froh über die unverhoffte Aufstörung und sinnreiche Ablenkung, gab ihm – und damit auch sich selbst – Gelegenheit, sich sein Geld zu verdienen.
„Kako se zoves?“ fragte sie.
    „Ime mi je Mioslav“, antwortete er.
    „Was kannst du mir über dein Leben berichten, Mioslav?“
    „Sigurno, Gospodjice?“ fragte er reserviert zurück, und als sie durch Nicken seine Zweifel zerstreute, setzte er selbstsicher hinzu: „Stole, wollen wir eine smoken?“
    Anica gab ihm eine Zigarette, und er begann in langsamen, doch leidenschaftlichen Zügen zu rauchen, den Blick ständig auf den träge aus der Zigarettenspitze empor züngelnden Rauch gerichtet. Erst die unsicher tastende Hand, mit der er die Asche behutsam am Mauerfuß abschlug, verriet, dass dieser Blick trüb, beinahe leer war.
    „Glaub nur nicht, dass ich mit zwanzig Jahren Lust gehabt hätte, in den Krieg zu ziehen“, fing Mioslav zu erzählen an. „Ich hab auf dem Land gelebt unweit von Ulog, und zum Überleben in diesem malerischen, dicht bewaldeten Gebirge hat man sich was absparen müssen. Und nicht selten geht das bloße Überleben auf Kosten des Lebens selbst. Mein Dorf, das es heute nicht mehr gibt, ist überwiegend von serbischer Bevölkerung bewohnt gewesen. Nicht, dass die Bewohner von dem runden Dutzend muslimischer Häuser das groß wahrgenommen hätten. Man lebte friedlich miteinander. Wenn jemand irgendetwas gebraucht hat, haben sich gleich alle eingefunden, um zu helfen. Weihnachten wie Ramadan hat man sich immer ohne großen Pomp mit wohldosierter Herzlichkeit gratuliert. Plötzlich jedoch sind Stimmen aus der Ferne zu vernehmen, bedrohliche Stimmen, dass es so nicht weitergehe, dass irgendwelche alten Rechnungen zu begleichen seien, dass gezählt, gemessen, gewogen werden müsse. Ein unheilvoller Mief der Spaltung und der Teilung durchzieht unseren Weiler. Und während das Echo der ersten Zusammenstöße aus diesem Sarajevo hier und von anderswoher auch im Gebirge widerhallt, hat noch trügerischer Friede vorgeherrscht. Eines Morgens freilich sind die jungen Einwohner muslimischen Glaubens nicht mehr im Dorf gewesen. In aller Stille sind sie über Nacht verschwunden, als hätte Hades persönlich sie in seine geheimnisvollen Gründe fortgerissen. In Angst und Ungewissheit bleiben die Alten zurück, um die Häuser und die wenigen verbliebenen Habseligkeiten zu behüten. Ich habe es nie gemocht, früh ins Bett zu gehen. Zu langes Schlafen ist Verkürzung des Lebens. Alle Bücher im Haus hab ich gelesen und mir dann weitere in der Nachbarschaft geborgt. Eines Nachts muss mich die Müdigkeit beim Lesen übermannt haben, als meine Mutter bereits die Kuh molk. Von leichtem Schlaf erfasst, hat mich wohl bald der Tiefschlaf in die Talsenke unter dem Berg versetzt, der unser Dorf vor den rasenden Winden schützt. Unversehens bin ich in die Höhe entschwebt. Die Talsenke ist langsam unter mir verschwunden, doch habe ich ihre Ränder erfassen können, den Pappelbaum auf der kahlen Anhöhe. Kaum hab ich mir die Frage gestellt, wie der Pappelbaum dorthin gelangt sein könnte, als der sich vor meinen Blicken in ein schlankes Minarett verwandelt. Statt des Hodscha spricht vom Minarett Abdil, mein Kumpel von der Schulbank, der kürzlich gleichfalls aus unserem Dorf verschwunden ist. Ich glaube, ich habe sehr mit den Armen gerudert, um mich Abdil zu nähern, doch die Kraft, mit der er aus der Talsenke entschwebt, ließ nach, und er beginnt zu sinken. Hinter ihm, das kann ich beschwören, verstreuen sich Abdils traurige Worte: `Mioslav, es ist aus mit uns!´ Worauf sich Abdil in einen langen grünen Blitz verwandelt und danach donnergrollend entschwindet. Ich selbst verspüre unter mir den kühlen Wipfel einer riesigen Buche, die mich in ihr kräftiges Geäst aufnimmt, ehe schon erneuter Donner loskracht. Schweißgebadet bin ich aufgewacht, derweil jemand wie verrückt an die Tür klopft. Verschlafen

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