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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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kurzgeschorenen Köpfe, die sich ähnelten wie bei Zwillingen und nur in den Farbtönen, blauschwarz bei der einen, orangerot bei der anderen, unterschieden, hatten sie aneinandergelegt, die Finger einer Hand der anderen zusammengefaltet wie zum Gebet. Und während der Düsenjäger die Frachtmaschine verfolgte, jedoch noch nicht schoss, hatten die Frauen im Rücken das Gefühl, als würde ihnen im nächsten Augenblick eine MP-Garbe zwischen die Schulterblätter gejagt.
    Der Abfangjäger des nordatlantischen Paktes flog schräg über den Schwanz der Frachtmaschine hinweg, feuerte, und die beiden Frauen meinten zu spüren, wie es sie im Rücken erwischte. Es war das Gefühl aus der Gemeinsamkeit heraus mit allen, die Gefahr liefen getötet zu werden wie sie selbst, das Gefühl der Schuld und der aufkeimenden Scham, das Gefühl des Schmerzes und der hochkochenden Wut über alles, was in ihren Augen fehlschlug, im Gegensatz zu der Freude über alles, was ihnen Gelingen dünkte. Sie sahen das behäbige Flugzeug in Brand geraten wie ein Fetzen Papier, an den ein Streichholz gehalten wurde. Eine Viertelminute vielleicht schwebte es noch weiter, dabei an Höhe verlierend, und die Rauchfahne hinter ihm wurde immer länger. Mit einem Mal schien es stillzustehen, dann neigte sich die linke Tragfläche, ehe es abrupt, sich schwerfällig überschlagend, auf den Wald zustürzte, einen schwärzlichen Streifen hinter sich herziehend. Aus ihm schälte sich eine Gestalt, die sich als Bündel von dem Flugzeugwrack gelöst hatte und zunächst wie ein Stein zur Erde fiel. Warum zieht er die Leine nicht, dachten Brena und Mary-Jo, als sich der Fallschirm auch schon aufflatternd öffnete. Dröhnend explodierte die Frachtmaschine, ehe die lange schwarze Rauchfahne sich stumm über dem Bergwald ausbreitete.
    Die F-16 blitzte im Sonnenlicht, stieg hoch empor, machte kehrt, und mit aufheulenden Düsen jagte sie, ihren Sturzflug abfangend, über die Absturzstelle. Kreischend beschrieb der Jäger eine Schleife, stieg wie eine Kerze steil in die Wolken und verschwand.
    „Da kommen die beiden anderen!“ schrie das Mädchen entsetzt, noch ehe sie sich von dem Eindruck des gerade erlebten Schauspiels erholen konnte. Erschüttert starrte auch Mary-Jo hinauf. Sie faltete die Hände, presste die Finger zusammen, so dass sie schneeweiß anliefen. Die Finger Lepa Brenas verkrallten sich im Schulterriemen. „Sieh doch!“ schrie die Bosnierin, packte Mary-Jo bei den Schultern, schüttelte sie mit aller Kraft. „Sieh doch nur!“
    Mary-Jo sah die beiden Jäger gemeinsam, fast so dicht nebeneinander, dass sie sich berührten, heranflitzen und sich fröhlich in die Höhe schwingen, als freuten sie sich über ihre Begegnung; hoch oben unter einer schwarzen Wolke trennten sie sich, wechselten die Plätze, brausten im Sinkflug davon.
Blitzartig schoss eine winzig anmutende, pfeilgeschwinde Boden-Luft-Rakete heran, düste mit unglaublicher Geschwindigkeit einer der davonjagenden F-16 hinterher. Unwillkürlich spannten die beiden Frauen die Rückenmuskulatur, dass die Schulterblätter zusammenzuckten, weil sie wieder dieses schmerzliche Gefühl der eigenen Betroffenheit im Kreuz verspürten. Gleichwohl fuchtelte Lepa Brena merkwürdig mit den Händen in der Luft herum, als wolle sie den todbringenden Flugkörper in sein Ziel lenken, während Mary-Jo die Daumen zusammenpresste, er möge seine Absicht verfehlen. Plötzlich fing die dicht vor ihm dahinbrausende F-16 ihren Sturzflug nicht mehr ab, sie flammte auf, stürzte hernieder, noch in der Luft in Stücke zerberstend, und verschwand hinter der dunklen Wand des Hochwaldes. Lepa Brena brüllte auf vor Freude, Mary-Jo vor Trauer, doch blieb ihnen der Schrei sogleich im Halse stecken, als sie sich in die kreidebleichen Gesichter blickten.
    Der Himmel über ihnen war leer bis auf zwei schwarze Rauchsäulen, als hätte es weder dieses hilflos langsame Frachtflugzeug noch die rapiden Abfangjäger je gegeben. Das Mädchen weinte vor Wut, seine Zunge leckte die salzigen Tränen von den Lippen, es bemerkte nicht, dass Mary-Jo dicke Tropfen die Wangen herunterliefen.
    „Wir müssen ihn suchen“, sagte das Mädchen heftig mit kalkweißen, bebenden Lippen.
    Mary-Jo nickte trauervoll.

58 Was Anica erzählt wird
     
    Der Traum in Anicas Kopf war noch heiß: Die Toten wandelten vor ihrem inneren Auge auf nächtlichem Rundgang von einem frischen Grab zum anderen, Skelette hoben und senkten in ihren Händen Unterkiefer

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