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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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spring ich auf, öffne und erblick vor mir das dem Wahnsinn nahe Gesicht meiner Mutter. Ihre Stimme klingt wie von einem anderen Planet, und aus all dem, was ihre blau angelaufenen Lippen von sich geben, kann ich nur das eine verstehen: `Mioslav, es ist aus mit uns!´ Wie bin ich erschauert und ins Bett zurückgefallen! In jener Nacht ist im Dorf eine Gruppe von Bewohnern ermordet worden. Niemand hat die Mörder gesehen, doch die grüne Spur auf ihren Wunden ist unverkennbar gewesen. Das ist ein unzweideutiges Zeichen, dass es kein Zurück mehr gibt, dass jeder sich einzuordnen hat. Bereits am nächsten Morgen muss ich mich in die Truppe einreihen. Man drückt mir ein Gewehr in die Hand. Ich werd Soldat. Ein Soldat meines Volkes. Auch wenn ich es nicht gerne bin. Zu Anfang verteidigen wir lediglich das eigene Dorf. Mit dem immer heftiger werdenden Lauffeuer des Krieges werden auch die Bewohner meines Dorfes zu Angehörigen einer der drei Kriegsparteien und verlieren ihre Identität und ihre Heimatzugehörigkeit. Wir passieren das Tor zum kollektiven Wahn.“ Wie er jetzt seine Erinnerungen an diese ersten Tage des Einordnens durchging, sprach Mioslav so leise, als wollte er sich einzig dem Erdboden anvertrauen: „Einige reden, scheinbar diskret, auf mich ein, ich solle des Nachts hinausschleichen und die im Dorf verbliebenen Muslimanen, meist alte Frauen und Männer, niedermachen.“ Er schwieg eine kleine Weile und fuhr dann mit Abscheu fort: „Ich weiß nicht, ob ich jemanden getötet hab, hoffentlich nicht, aber ich kann nur an der Front, also im Kampf schießen. Schwache und Unbewaffnete töten? Niemals! So, wie auch mein Schulfreund Abdil damals, als der Konflikt schon in der Luft liegt, erklärt: `Eher lasse ich mir das Kreuz auf die Stirn brennen, als meine Hand gegen einen andersgläubigen Nachbarn zu erheben!´ Der Krieg hingegen verbreitet sich wie heiße Lava; gelegentlich schlägt er Bögen und Windungen, rückt gleichwohl unaufhörlich vorwärts und verbrennt alles, was sich ihm in den Weg stellt. Auch ich werd von diesem Lavafluss erfasst und mitgerissen. Der Krieg zerstört, reißt nieder, vernichtet, brennt ab. Ein niedergerissenes Haus mutet an wie ein Leben, das sich vor den Füßen eines mächtigen Kriegsherrn auflöst. All der darin versprengte Hausstand ähnelt den herausgequollenen inneren Organen eines aufgeschlitzten Menschen. Viele raffen, plündern. Sie denken sich: Es gehört ja doch niemandem mehr. Sie stöbern, wühlen, durchaus wählerisch. Vor allem nach technischen Dingen und nach Geld. Dies tun die einen wie die anderen. Ich seh all dies, und mir steigt die Schamröte ins Gesicht. Immer wieder. Bis ich auf der Brandstätte eines Hauses, nahe den wütenden Flammen, einen Haufen Bücher erblick. Meine Hand zuckt in ihre Richtung, doch halt ich inne. Ich schau mich um. Die anderen ziehn vorüber und suchen nach Sachen, die sie für wertvoller halten. Und während ich beobachte, wie die Flammen auf die Bücher überzugreifen drohn, kehrt sich etwas in mir um. Mein Rücken beugt sich, meine Hände greifen etliche Bücher und meine Beine rennen, die Seele erfüllt von Angst, gesehen zu werden, den anderen hinterher. So geschieht es mir beim ersten Mal. Danach wird es mir zur Gewohnheit. Alle scheinen sich über mich zu wundern, aber ich sammle weiter Bücher. Mein Gewissen tröstet mich damit, dass die Bücher sowieso vernichtet worden wären. Wann auch immer ich Gelegenheit dazu hab, schlepp ich Rucksack für Rucksack Bücher in mein Heimatdorf und stapel sie in Regalen. Eine große Bibliothek wollt ich haben, und wenn dieser Krieg vorbei wär, wollt ich mich hinsetzen und in aller Ruhe sämtliche Bücher durchlesen. Aber wenn es sein müsste, würde ich alle zurückgeben“, beteuerte Mioslav und fügte hinzu: „Ich weiß genau, welches Buch ich woher genommen hab. Aber dann werden meine Pläne von schwarzen amerikanischen Blechvögeln überflogen. In mir erwacht eine unbeschreibliche Widerstandskraft, ein bis dahin nicht wahrgenommener Protest. Ich beschließ, mich diesen fliegenden Ungeheuern entgegenzustellen. Als diese zu einem neuerlichen zerstörerischen Angriff anfliegen, um ihre tödliche Fracht abzuwerfen, richt ich über das Korn des Raketenwerfers meinen scharfen Blick auf sie. Als ein fliehendes Blechungetüm ins Fadenkreuz gerät, lös ich aus. Sehnlichst hab ich gehofft, dass ich den Blitz erblicken würd, in dem das böse Ding verbrennen würde. Unvermerkt scheint die

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