Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
sagte etwas auf Serbokroatisch und ging.
„Trink“, sagte das Mädchen. „Ist das etwa dein Traum der vergangenen Nacht?“
Mary-Jo nickte. Im Hals spürte sie zuschnürendes Würgen.
„Also trink erst mal, Mary-Jo“, redete Lepa Brena ihr zu. „Es ist brennender Treibstoff gewesen. Die Serben haben einen Tankwagen eurer Hilfslieferungen hochgehen lassen, als der Junge einen Fahrer fragte, ob er Lebensmittel bringe. Du brauchst keine Angst zu haben.“
„Angst habe ich vor den langbärtigen Wachposten“, entgegnete Mary-Jo mit brüchiger Stimme. „Sie sehen mir aus wie Absolventen direkt aus einem afghanischen Terrorausbildungslager.“
„Du solltest dich lieber um die School of the Amerikas in Fort Benning im US-Bundesstaat Georgia bekümmern. Ist die SoA nicht berüchtigt, weil dort durch die US-Army Militärs aus lateinamerikanischen Ländern gedrillt wurden?“
„Davon weiß ich nichts“, erklärte die Majorin.
„In nicht wenigen Fällen dienten die da Ausgebildeten in brutalen Militärdiktaturen und waren an vielfältigen Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Viele von ihnen wurden Mitglieder so genannter Todesschwadronen, die darauf spezialisiert sind, unliebsame Oppositionelle – Menschenrechtler, Gewerkschafter, Priester und andere – verschwinden zu lassen. Zum Ausbildungsprogramm gehören entsprechende Aufstandbekämpfungstechniken. Wenn das keine Terrorschule ist.“
Die gefangene Hubschrauberkampfpilotin schwieg verbissen.
„Immerhin gibt es Tausende USA-Bürger“, setzte Lepa Brena hinzu, „die anständig genug waren, seit Jahren gegen die SoA zu demonstrieren und ihre Schließung zu fordern.“
„Etwas Derartiges wird wohl niemals wieder vorkommen“, sagte die amerikanische Pilotin zuversichtlich.
Am Mittag kam der Junge wieder mit einem Reisgericht ohne Fleisch, doch mit zwei Eiern. Seine erstaunten Augen ruhten eine Weile auf Mary-Jo, bevor er wortlos den Raum verließ. Nach dem Essen lag sie auf der Pritsche und starrte auf das Fensterloch. Man müsste auf dem Sonnenstrahl hinauf und hinaus klettern können, dachte sie. Hör auf zu grübeln, schalt sie sich. Warum hast du im Kopf keinen Schalter, den man einfach umlegen kann, und schon sind alle Gedanken abgestellt? Der Schlaf, der sie endlich überwältigte, endete jäh durch das Traumgesicht, das von nun an immer wiederkehren sollte: Die serbokroatisch sprechende Maske des Brandversehrten.
61 Der Auftrag
„Was ich jetzt mit Ihnen berede“, sagte Kamensiek in der Hotelbar des Evropa zu Anica, „bleibt unter uns. Meine Frau hält Sie für eine fähige Reporterin – ich übrigens auch – und eine Frau, die weiß, was sie will.“
In Anicas Kopf wandelten immer noch die Gerippe vor ihrem inwendigen Auge, dazu eines mit Dragans Antlitz, das ständig raunte: `Anica, es ist aus mit uns!´, und sie fühlte sich selber wie ein Skelett mit dem Schädel unterm Arm und auf- und zuklappendem Unterkiefer. Immer noch fühlte sie sich außer sich, erschreckend vor sich selbst, vor ihren Gedanken und Visionen. Äußerlich hart wirkte sie nur noch wenig geistesabwesend, doch ihre innerlich vibrierende Erregtheit wollte kaum weichen.
Kamensiek fächerte mit gespreizten Fingern seine rechte Hand vor ihren starren Augen. „Hallo, Frau Klingor, wo sind Sie? Im nächsten Jahrtausend?“
Die Reporterin blinzelte mehrmals. „Ja“, antwortete sie gedankenlos, „Sie haben sicher recht.“
„Sie gefallen mir“, sagte Kamensiek lächelnd. „Sie wissen, was Sie wollen.“
Vor allem was ich nicht will, dachte sie, klappte unwillkürlich den Unterkiefer herab, ruckte innerlich zusammen. Da bin ich gespannt, was kommt, wenn die Diplomatin ihren Gatten als Unterhändler vorschickt.
„Vor allem aber halte ich Sie für eine Person“, fuhr Kamensiek fort, „die erkennt, wann und worüber sie zu schweigen hat. Falls Sie diesen Auftrag ablehnen, hat unser Gespräch nicht stattgefunden.“
Und ich werde nicht nach Srebrenica fahren, sagte sie zu sich selbst, den Mund schließend. Sparks wird mir mitteilen, dass sich die Vorschriften geändert hätten. Nicht schwer zu begreifen. Laut sagte sie: „Ich arbeite gern für Ihre Frau, besonders wenn es bezahlt wird wie üblich.“
„Dann erkläre ich Ihnen jetzt, was für Sie dabei zu tun ist. Sie geben mir, bevor ich mich verabschiede, Ihr Okay oder lehnen ab. Das ist gleichzeitig Ihre Bedenkzeit.“
Sie saßen im hintersten Winkel der Bar des „MM“ vor ihren
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