Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
In Geheimdienstkreisen kursieren drei verschiedene Versionen und Losungen für ein und dieselbe Aktion. Die Bosnier wollen die serbischen Aggressoren vorführen und nennen die Sache `Saurer Regen´.“
„Soll das heißen, sie wissen, was passieren wird, und lassen alles laufen aus Kalkül einschließlich der Möglichkeit eigener Verluste?“
„Ja sicher, auch um der Welt die Gräueltaten des Feindes vor Augen zu führen, das haben sie schon ein paar Mal gemacht. Bei der UN-Truppe läuft das Unternehmen unter der Firmierung `Safe Haven Light Mission´: Sie wollen die Serben in flagranti erwischen, um ihre Daseinsberechtigung zu unterstreichen, und natürlich gleichzeitig militärisch ein- und durchzugreifen, während die Bonzen Restjugoslawiens – seit längerem geschickt eingefädelt – dem Gefängniskommandeur diese Bestie untergejubelt haben als Ablenkungsmanöver für die geplante Meuterei, die mit ihrem Vorstoß über den Pass parallel und Hand in Hand inszeniert werden soll. Die Serben tauften ihre Offensive schlicht Hydra.“
„Ein dicker Hund, in der Tat“, stellte Anica fest. „Feine Aussichten. Jetzt geht mir langsam ein Licht auf, warum sie ausgerechnet mich dazu auserkoren haben.“
„Wenn du dich an meinen Rat hältst“, sagte er, „kann dir nicht viel passieren: Die Gasmaske immer am Ma... am Körper. Außerdem werden, ich habe es glaube ich schon erwähnt, ein paar unserer Leute in der Nähe sein. Sie werden aussehen wie jeder andere Dorfbewohner, aber sie werden dich erkennen; man wird sich im Notfall um dich kümmern. Du hast mein Wort.“
„Ich wünschte“, meldet sich Raza zu Wort, „es wäre zu verhindern, was sich da in Srebrenica zusammenbraut. Das Beispiel der UN samt NATO ermutigt geradezu die Serben, nach Gutdünken mit den Menschen zu verfahren.“
„Uns ist der teilweise Wortlaut eines alarmierendes Fax´ zugegangen“, sagte Raif, „das der Dutchbat-Kommandeur Oberstleutnant Karremans an das Verteidigungsministerium in Den Haag und an die übergeordneten UNO-Stellen in Tuzla und Sarajevo geschickt hat: Es hieß: `Es wird einen großen Angriff durch die bosnischen Serben geben. Es werden auch Spezialeinheiten eingesetzt werden. General Mladic persönlich befehligt die Truppen. Alle niederländischen Beobachtungsposten werden ausgeschaltet werden. Die Quelle dieser Informationen muss als zuverlässig bewertet werden.´“
„Ich werde das Gefühl nicht los, dass es sich um ein Ablenkungsmanöver handelt“, sagte Raza, „damit sie in Ruhe und ungestört die Gefangenen im Lager der Schutzzone beseitigen können.“
„Die Lawine ist losgetreten“, sagte Raif. „Beim besten Willen hält sie niemand mehr auf. Doch das soll dich nicht kümmern, Anica. Zdravo, und pass auf dich auf, ja?“
„Wir sehen uns dann“, erwiderte Anica und verabschiedete sich von Raza und Raif mit ernstem Blick und kräftigem Händedruck. Unten im Laden verbeugte sich Raif, rief der Journalistin nach: „Tausend Dank, Gospodjice, und beehren Sie uns bald wieder.“ Er blieb an der offenen Tür stehen und sah ihr hinterher, wie sie auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes den Motorroller bestieg. Misstrauisch äugte er nach allen Richtungen, ob sich vielleicht jemand anschickte, der Reporterin nachzustellen. Doch es folgte ihr niemand. Er blickte ihr nach, bis sie in einer Gasse verschwunden war. „Mnogo srece“, rief der Bosnier ihr tonlos nach, „viel Glück“, und griff beruhigt nach dem Geschäftsbuch, um einzutragen, dass die Reklamation einer Kameraschnellreparatur bearbeitet worden war.
63 Bei Burkhard
Anica fand, Burkhart Ball sähe abgespannt, älter aus. Sein sonst gepflegter brauner Teint wies eine ungesunde Blässe auf, und sein Gesicht schien punziert von einem harten, fremden Zug. Er reichte ihr ein Kuvert. „Lies“, sagte er. „So viel Zeit musst du haben. Ich mache dir derweil einen Kaffee.“
Mary-Jo musste einige Stunden an dem Brief geschrieben haben, mehrere engbeschriftete Blätter. „Burky, mein Liebster! Ich weiß, wie sehr unglücklich Du sein musst. Hoffentlich beruhigt Dich dieser Brief. Man hat mir erlaubt, ihn zu schreiben, obgleich es keinen regulären Postaustausch gibt. Irgendein Kurier wird ihn irgendwo in einen Briefkasten werfen. Du musst jetzt ganz tapfer sein, denn leider habe ich keine Hoffnung auf baldige Rückkehr. Hier wird mir bewusst, wie falsch das Gerede ist von Geplänkeln und Scharmützeln, was sich – für jeden eigentlich
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