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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Konvoi angeschlossen, und die Straße führte durch einen niedrigen Eichenwald, an dessen Ende die letzte Brücke vor dem Passdorf Han Pijesak lag. Die Journalistin registrierte vom Beifahrersitz aus die zerstörten Bögen und Stützen, die armseligen Reparaturen. Eine eiserne Konstruktion sollte die gebrochenen Pfeiler flicken, auch sie war zerbombt. Die Stümpfe der alten nahmen sich elend aus neben der neuen hölzernen Hilfsbrücke, die sich über die Schlucht spannte. Tief unter dem Seitenfenster sah Anica den Gebirgsfluss strömen, in breiten Bögen verschwindend und wieder auftauchend, reißend und gischtend, grünlich und grau mit weißlichen Schaumspitzen unter den letzten silbrigen Berggliedern. Der hölzerne Steg war leer wie das danebenliegende Viadukt. Nur am Torturm auf der westlichen Seite, einem ehemaligen Pulvermagazin, und dem Wachturm am jenseitigen Ufer, einem vormaligen Kerker, beobachtete die Reporterin je einen Doppelposten bosnischer Soldaten, die mit unbewegten Gesichtern hinter dem kleinen Konvoi aus gepanzerten Mannschaftswagen der UN hersahen. Am östlichen Ende der Brücke las sie auf einer Tafel in verwaschenen kyrillischen und lateinischen Buchstaben, dass der Weg über den Pass der „Nebelwölfe“ und zum Wasserkraftwerk Zvornik und weiter nach Beograd führt. Darüber war ein Wolfsrudel gemalt unterhalb eines nebelverschleierten Berggipfels, den ein weißes, weil sorgfältig ausgekratztes Balkenkreuz krönte unter einem grellgrün eingezeichneten Halbmond. Anica erinnerte sich, dass jenseits des Bergmassivs eine der letzten Populationen freilebender Wölfe in Europa existierte. Und seit Monaten war so gut wie kein Autoverkehr mehr von Srebrenica über den Pass der Nebelwölfe hinweggeflossen.
    Das Dorf Han Pijesak war nur ein kleiner Flecken an diesem Weg, ein langgezogenes Straßendorf in mitten von Nadelwäldern, doch offensichtlich ein traditioneller Handelsplatz. Der Fahrer wusste Anica zu berichten, dass die Bauern aus den Tälern diesseits und jenseits des Passes seit jeher ihre Produkte den Zwischenhändlern anboten, die sie bis kurzem in die größeren Ortschaften Gornji Vakuf und Novi Travnik bis hin nach Jablanica, natürlich auch Sarajevo und über Loznica nach Beograd vermittelten. Heute aber wurden auf nur wenigen Ständen spärliche Warensortimente für die verbliebene Bevölkerung feilgehalten: Etwas Getreide und Gemüse, ein altersschwaches Huhn, ein paar Milchprodukte, ein wenig Geschirr, und alles zu unerhörten Preisen.
    Beiderseits der Dorfstraße standen ruinenähnliche Katen, denen Anica kaum noch ansah, dass sie einmal hellgetünchte Wände und schmucke Treppenaufgänge zu verwinkelten Höfen besessen hatten. Die Mauern waren übersät mit Einschusslöchern und die Fensteröffnungen starrten leer. In manchen Untergeschossen wurden schaufensterlose Kleingeschäfte offengehalten, aber nur ein dürftiger Warenbestand wartete vergeblich auf zahlungskräftige Kundschaft.
    Nichts deutete darauf hin, dass hier eine der größten unterirdischen Militäranlagen des ehemaligen Jugoslawien verborgen lag: Tief unter dem Fels sollten Gänge liegen von über fünf Kilometer Länge mit einer atombombensicheren Kommandozentrale und modernsten Kommunikationssystemen, dazu eingelagert große Mengen an Lebensmitteln und Waffen.
Der Gefängnisklotz am östlichen Ausgang der Gemeinde glich einem befestigten Fort, das es in der Türkenzeit auch einmal gewesen war, an und in die Felsen hinein gebaut und umgeben von einer haushohen Mauer aus riesigen Natursteinen, zum Teil großflächig mit jetzt zerlöchertem Putz beworfen. Der Stacheldraht auf der mit Glasscherben gespickten Mauerkrone war von Rost stumpfbraun eingefärbt. Auf einem Beobachtungsturm, der die Journalistin an ein Minarett erinnerte, befand sich ein Maschinengewehrnest, und der MG-Schütze suchte die Umgebung mit dem Feldstecher ab. Er hielt das Glas routiniert an die Augen, trotzdem wirkten seine Bewegungen phlegmatisch. Viel zu sehen gab es ohnehin nicht, denn das Dorf wurde eingerahmt von den verfilzten Wäldchen, die sich fünfhundert Meter hochzogen bis zu den steilen, nackten Steinhängen und schroffen Felsspalten der himmelhohen Berge. Schwer zu sagen, wie viele Freischärler, Soldaten und Heckenschützen sich dort wohl verborgen hielten.
    Wer in den Ort wollte, wurde einer peinlichen Kontrolle unterzogen, wie nun der kleine UN-Konvoi, und der Fahrer erklärte unterdessen, dass auf Dorfbewohner, die man bei dem

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