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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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harmlos die Strömung hinabtreibenden Zweig beiseite warf, zuckte unversehens die blendende Stichflamme einer Explosion auf. Das Schlauchboot neigte sich aufbäumend zur Seite und vollführte eine Drehung. Die Reporterin griff krampfhaft in das Loch einer Gummizunge am Wulst, um nicht über Bord zu stürzen, und als sie aufsah, erstarrte ihr konsternierter Blick: Die Stelle, wo die jungen Bosniaken um das Maschinengewehr gehockt waren, bestand nurmehr aus dem Gewirr zerfetzten Gummis und zerfaserten Gewebes des vorderen Luftkörpers. Der Scheinwerfer brannte noch, doch sein blendender Strahl tanzte unkontrolliert auf der brodelnden Wasserfläche.
    Der Druck der Explosion war wie ein Schlag auf den Kopf, und durch das Sirren in ihren Ohren hörte die Reporterin von den Felswänden her das Tackern eines MG. Die erste Garbe hatte den Backbordschlauch perforiert, hinter dem der dicke Deutsche mit dem Kopf zwischen den Knien hockte, eine zweite löschte den Scheinwerfer über dem dahinter zusammengekauerten Legionär. „Gott steh uns bei, verflucht noch mal“, zischte er mit eingezogenem Kopf am ganzen Leib zitternd wie Espenlaub. Anica, von der Wucht der Detonation an die Heckplanke mit dem Außenbordmotor geschleudert, begann über den Holzrost des Bootsbodens zu dem Behälter mit den Korkgürteln zu kriechen, an dessen Deckel der Sergeant bereits fieberhaft zerrte. Keine der aufblasbaren Schwimmwesten war ohne Kratzer geblieben, das Gummitextil klebte schlaff und durchnässt an den Körpern. Als der Stabsunteroffizier sah, dass die Reporterin noch lebte, warf er ihr einen Rettungsgurt zu und bedeutete ihr, sich außenbords fallen zu lassen.
    Wieder bellte hart das Maschinengewehr vom Steilufer her. Es musste über einen Restlichtverstärker verfügen, denn die nächste Feuergarbe traf den verbliebenen Schlauchkörper mit solcher Genauigkeit, als wäre helllichter Tag. Der dickliche Scharfschütze trieb bauchoben an Anica vorbei. Es schien, als trage er eine schwarze Perlenkette. Die aneinandergereihten Einschusslöcher auf seinem Oberkörper bildeten eine perfekte Perforation, schwarzes Loch an schwarzem Loch, wodurch die Lebensgeister entwichen und durch die der Tod hereingeplatzte. Seiner Seele schwarze Löcher, dachte Anica jäh, durch die das ewige Licht leuchtete.
    Ächzend versuchte die TV-Journalistin den Korkgürtel umzulegen, es misslang, da die Schnüre sich verhedderten. Sie hörte den Soldat ins Sprechfunkgerät schreien, ehe eine erneute Geschosssalve über ihre Köpfe hinwegfegte. Anica ließ sich von dem Bodenrost auf die dem Ufer abgewandte Seite ins Wasser gleiten, gefolgt von dem Bootsführer, der sich gleich ihr die Schuhe abstreifte und so gut es ging untergetaucht flussabwärts schwamm. Der Plastbeutel mit der Mikrokamera und den Filmkassetten hing wie Blei an Anicas Hals, doch war die Journalistin grimmig entschlossen, die ihr verbliebene Gerätschaft nicht aufzugeben. Sie umklammerte den Korkgürtel, der sie nach oben zog, knapp unter der Wasseroberfläche glitt sie dahin, solange es ihre Lungen aushielten.
Als sie keuchend den Kopf vorsichtig aus dem Wasser streckte, um Luft zu holen, sah sie die Bootsreste brennen. Die Geschosse mussten die Behälter mit den Flammenwerfern und den Tank des Außenbordmotors getroffen haben. Das Schießen schien abzuflauen. Vereinzelt flackerte noch hier und da Geknatter auf, trommelte irgendwo in der Finsternis eine verspätete Maschinengewehrgarbe wie Erbsen, die in einen leeren Eimer geschüttet wurden. Tief Luft schnappend tauchte sie noch einmal unter. Die starke Strömung trieb sie in Flussmitte, und als ihr Kopf wieder über der Wasserlinie erschien, stellte sie fest, dass das Maschinengewehr endgültig schwieg. Der Schütze hatte offenbar seinen Auftrag als erfüllt angesehen. Die brennenden Schlauchbootreste trieben langsam versinkend und sich rasch in den Strudeln drehend zu Tal, der schwärzliche Rauch hüllte die verschluchtete Flusslandschaft in pechschwarze Dunkelheit. Mehrmals tauchte Anica noch, bis sie sich weit genug außer Reichweite des Maschinengewehrs glaubte, und ließ sich auf der bewegten Wasseroberfläche flussabwärts treiben. Dabei hielt sie Ausschau nach dem Sergeanten, konnte ihn indes nirgends entdecken.
Es heißt, wenn ein Taucher ohne Aufenthalt aus der größten Tiefe hinaufsteigt, überlegte Anica, so tritt ihm das Blut aus den Ohren. Genau so ergeht es den Menschen im Krieg. Der eine hält es aus, doch dem anderen strömt das

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