Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
wie auf Kupferstichen aus dem Dreißigjährigen Krieg. Doch vereinzelt wagte man bereits Reparatur, ja Wiederaufbau. Ein alter Gutshof lag auf einer nicht gerade hohen, aber doch deutlich erkennbaren Erhebung, zu deren beiden Seiten ein ungepflegter Park abfiel. Die Bäume waren umgeknickt wie Streichhölzer, das Gebäude mit dem Balkon in der Mitte war durch Granateinschläge fast völlig zerstört, der Glockenturm der kleinen, angebauten Kirche bis in halbe Höhe von Einschüssen zernagt, die Erde des Hofplatzes vollkommen durchwühlt.
„Wohin fliegst du mich, Dragan?“
„Ins Pantokratorkloster.“
„Denk dran! Vor dem Altar wirst du ein `Nein!´ zu hören bekommen.“
„Der Pope wird keine Frage stellen, die du verneinen kannst, Anica. Eigentlich wird er gar nichts fragen, sondern erzählen.“
„Da bin ich gespannt“, sagte sie.
„Du wirst dich wundern“, sagte er.
„Was kann an einer Abtei schon interessanter sein, als diese muslimanischen Nekropole dort unten?“ Anica deutete mit dem Zeigefinger auf den Flugzeugboden.
„Nun, das ist was anderes, das sind Bogumilensteine, auf jedem Hügel, an jeder Stelle Gräber“, erklärte Dragan. „Tote gibt es mehr als Lebendige.“
Anica und Dragan schwiegen bis lange nach der Landung.
Die Vesperglocke empfing sie mit hellem, hektischem Gebimmel, als sie vor dem Kloster Decani ankamen. Die zerwitterte Vorhalle glänzte im Sonnenlicht, durch ihre Bögen leuchtete wildwachsender Mohn. Der Iguman, ein Pope mit ungeschnittenem, zerfranstem Graubart und Haupthaar, trat ihnen, würdevoll sein Brustkreuz haltend, entgegen. „Hier ist mein Reich“, sagte er nach der Begrüßung und machte eine ausladende Handbewegung. „Die Pantokratorkirche ist das eindrucksvollste Bauwerk der mittelalterlichen serbischen Kultur. Die fünfschiffige Basilika mit ihrer bunten Fassade aus verschiedenfarbigen Marmorplatten besitzt neben einem weiten Altarraum einen hohen Narthex, aber eine relativ kleine Kuppel. Viele Details erinnern an westliche Einflüsse: Die Kreuzrippengewölbe, die schmalen gotischen Fenster und der reiche Skulpturenschmuck aus Fabeltieren, Pflanzenornamenten und menschlichen Figuren. Die...“
Sie traten in das von Weihrauchduft getränkte Bethaus, Tausende von Kerzen brannten, und während des hieratischen Vortrags betrachtete Anica die freskobemalten Wandflächen. An einigen Stellen waren offensichtlich alte Gemälde übertüncht worden. In Augenhöhe schimmerten kyrillische Buchstaben durch, weiter oben eine kalligraphisch eingeritzte arabische Inschrift.
„...Wände“, fuhr der Iguman übergangslos in fließendem, gleichwohl akzentdurchsetztem Deutsch fort, „wurden zum Teil mit Hammer und Spitzhacke aufgeraut, damit der Neuputz haften konnte, an anderer Stelle die Gemälde mit Kalk überstrichen.“
„Was bedeuten die Schriftzeichen unter den geweißten Flächen?“ fragte die Journalistin.
„`Wie schön sind diese Bilder!´“ übersetzte der alte Pope.
„Wer hat diesen Satz verewigt?“ wollte Anica weiter wissen. „Der Meister, dem die Pflicht auferlegt war, die kostbare Malerei unter der Kalktünche zu verbergen?“
„Zunächst eine türkische Koryphäe“, gab der Greis Auskunft, strich sich mit flacher Hand über die hohe Stirn, „dann ein serbisch-sozialistischer Kunstjünger. Doch hat man seit zwei, drei Jahren mit der Restauration begonnen. Leider fehlen die Mittel.“
Anica deutete auf ein großes Gemälde an der Kuppel der Vorhalle. „Ist dies ein solch rekonstruiertes Werk?“
„Bedauerlicherweise ja“, antwortete der Pope sichtlich bekümmert. „Lange vor Fertigstellung des gleichgearteten Kunstwerkes jenseits der Adria hat es sich jemand in den Kopf gesetzt, Rom an Bombast übertreffen zu wollen.“
„Aber es sind erstaunliche Darstellungen!“
„Gewiss, die Vorstellung vom `Jüngsten Gericht´ hat seit jeher die Gläubigen fasziniert.“
„Nun“, sagte Anica und ließ die Kamera mitlaufen, „vermutlich mehr ein Klerus, der mit einem solchen Druckmittel seine Schäfchen beisammen halten will.“
„Die Sonne scheint auf Gerechte und Ungerechte“, murmelte der Pope in seinen ungepflegten Bart. „Das Bild hat eine verderbliche Ausstrahlung, auch wenn es mehr diejenigen zeigt, die als Sünder verurteilt werden, denn jene, die gerechtfertigt sind durch ihre Taten. Jedermann hat eigenes zu verantworten: Die nackte Frau, die es ablehnte, ein fremdes Kind zu stillen, und...“
„...nun gezwungen wird, eine
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