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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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werden können, daran dachten sie beide nicht. Sie mussten herzlich lachen über die Stöcke, die sie wie Gewehre auf sich gerichtet sahen. Die Kids forderten mit böse stechenden, hypnotisierenden Blicken ihre Ausweispapiere, und das Paar ließ sich gut gelaunt auf das Spielchen ein.
    „Netter Witz, wie?“ raunte Dragan Anica zu.
    Da fuhr der zwölfjährige Bengel rüde dazwischen: „Diese Frau gehört nicht zu unserer Religion! Sie muss absteigen und wird erschossen! Sie, Mann, können weiterfahren!“
    Diese eiskalt vorgebrachten Worte fuhren Anica durch Mark und Bein. Vor ihrem inneren Auge wuchsen den Kindern aus Kinn und Wangen Barthaare und die Haut legte sich in Altersfalten. Unvermerkt stand vor ihr statt der Kinder eine bewaffnete Truppe gewaltbereiter Gnome. An nichts dachte sie jetzt weniger, als gute Miene zum Bösen Spiel zu machen. Vor Angst schrie sie gellend auf.
    Dragan ließ rasch den Roller anspringen, fuhr los. „Was ist bloß in dich gefahren?“ rief er verwundert. Anica schwieg, ihre Tränen vermochte Dragan nicht zu sehen.

23 Der Pope
     
    An Dragans TU war es zu jenem unvermeidlichen Hin und Her gekommen, das beim Verladen außergewöhnlicher Frachten entsteht. Anica beobachtete das Pelemele vom Co-Pilotensitz aus und wurde ganz kribbelig dabei. Anfangs hieß es noch, es würde einfach funktionieren, dann musste man doch umdisponieren und holte aus dem Lastwagen die Vierkanthölzer, auf denen der Sarg beim Hertransport befestigt gewesen war. Das erwies sich auch deswegen als nötig, weil die Meteorologen latente Gewitterneigung ansagten.
    „Das Hin und Her gilt weder dem, was ist, noch dem, was kommt. Das eine ist das Leben, das andere die Bestattung. Das hier ist nur der Umschlag von einem zum anderen“, sagte Dragan sibyllinisch, als er sich endlich hinter den Steuerknüppel schwang. Seine Einstellung zum Tod – zu dem eines anderen oder zu seinem eigenen – war unkompliziert, und er kam nicht einmal auf den Gedanken, man könnte irgendwie anders dazu stehen. Er liebte es zu spotten, der Tod als Soldatensache heiße, alles nach Vorschrift, gelebt und – ein jeder zu seiner Zeit – gestorben. Punktum.
    Als das Frachtflugzeug von der Startpiste abhob, griff Dragan nach Anicas Hand. Sie wechselten einen kurzen Blick. Unten blieb Sarajevo zurück: Die Minarette der Moscheen, die Türme der orthodoxen und jüdischen Heiligtümer, die katholischen Kathedralen aus der österreichisch-ungarischen Besatzungszeit. „Eine Art Jerusalem des Balkans“, sagte Dragan und zog die Maschine über dem Kastell steil in den tiefblauen Himmel, knapp über die schroffen Felshänge fauchte sie empor.
    Sie überflogen in niedriger Höhe fruchtbare Becken, Karstformationen, tiefe Täler. Springlebendige Bäche waren auszumachen, in denen das blauschimmernde Wasser klar und reißend war. Aus den Wasserläufen ragten weiße Felsen, die Ufer waren gesäumt von frischem Grün, nichts schien sich zu rühren außer dem Wasser. Die bunten Mauern der Dörfer glühten unter der starken Sonne, und die Schatten waren schwarz und scharf. Nur auf wenigen höheren Berggipfeln lagen noch Schneereste. Auf kleinen Parzellen stand Getreide hoch und üppig, und die Reporterin sah vereinzelt winzige Felder mit Rosen und weißem Mohn in voller Blüte.
    „Alles in Ordnung?“ fragte Dragan.
    „Wunderschön“, seufzte Anica statt einer Antwort, blickte hinab in die klaffende Tiefe.
    „War es einmal“, erwiderte Dragan und hantierte an den Instrumenten. „Jetzt ist es nurmehr schön kalt.“
    „Du bist schon ganz verdorben durch die Zivilisation“, sagte sie, gleichwohl bestrickt von seinen kohlrabenschwarzen Olivenaugen. „Berechnest du die Romantik einer sternklaren Mondnacht auch mit dem Computer?“
    „Sicher“, antwortete er und schaute Anica empathisch bis auf den Grund ihrer strahlenden Blauaugen. „Exakt aus den Koeffizienten von Dunkelheitsgrad plus Sonnenwindintensität geteilt durch die Anzahl der Sternschnuppen minus Luftfeuchtigkeit mal...“
    „Halt mal die Luft an“, mahnte sie lachend. „Gibt es im Ernst etwas, das du liebst, ohne die Ursache dafür von einem Messinstrument abzulesen?“
    „Dich.“
    Als das Flugzeug die Nase in die Horizontale senkte, tauchte im Cockpitfenster ein Dorf auf, Häuser mit schwarz klaffenden Fensterhöhlen und Mauerlücken, mit dürren verkohlten Dachgerippen. Die hohlen Kästen standen auf Hügeln wie mächtige Totenschädel, ragten aus der bergigen Landschaft

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