Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
höchstens reichte, ihm vor die Füße zu schießen. Also änderte sie ihre Zielrichtung und befriedigte ihre Rachegelüste, indem sie Aufnahmen von seinen Strümpfen schoss.
Dragan lachte herzlich auf und umarmte Anica. Sie hielten sich eng umschlungen, als wollten sie durch die körperliche Nähe einen Ausgleich schaffen zu den verletzenden Worten, die sie sich gegenseitig an den Kopf warfen, oder den einander demütigenden Un-Taten, zu denen sie sich hinreißen ließen.
Ihre heiße Wange an Dragans Brust, schmollte Anica zwar noch mit ihm, doch ihr Körper, an den seinen geschmiegt, ließ keinen Zweifel, dass sie ohne ihn nicht sein konnte, nicht sein wollte.
Als Dragan dann die Hoteltreppe hinabstieg, hörte er sie noch lange oben in der Stille stehen, an der geöffneten Tür. Irgendetwas empfand er, was ihn ein wenig gegen sie aufbrachte. Als habe sie in der Abtei für jemand eine Kerze aufgestellt, ohne selbst wirklich daran zu glauben. Die Popen haben wieder ein feines Leben, treiben wieder Handel mit Kerzen, dachte Dragan beim Hinaustreten auf den Hotelparkplatz mit dem Hass eines kleinen Jungen, der im Internat aufwächst.
26 Das Dorf Obaljak
Am übernächsten Abend im Stari Grad, als die Reporterin ihrem abgereisten Freund nachtrauernd die Aufnahmen von den Klosteranlagen bearbeitete, klingelte das Telefon. Sie stürzte zum Apparat, riss den Hörer ab. „Dragan?“
„Hello, Madam“, sagte eine unbekannte männliche Stimme. Der Offizier des UN-Information-Center bat sie, möglichst sogleich seine Dienststelle aufzusuchen. Es handele sich nicht um eine Konferenz, sondern um eine Meldung über ein höchst wichtiges Ereignis.
Das kann doch nicht sein, dachte Anica. Ich hätte geschworen, dass mir die Nachricht vom Colonel höchstpersönlich übermittelt wird, falls es sich um die große Sache handelte, die zweiseitig angekündigt war und irgendwann bei Srebrenica steigen sollte.
Die Journalistin entschied sich hinzufahren. In dem Raum drängten sich Dutzende ausländische und einheimische Kollegen in Grüppchen zusammen und fachsimpelten. Nach einer Weile sahen etliche auf ihre Uhren, als ein Blauhelm-Hauptmann erschien, sich breitbeinig vors Mikrophon stellte und von einem Blatt Papier abzulesen begann.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe Ihnen zwei Mitteilungen zu machen. Die erste sozusagen in eigener Sache. Der Oberkommandierende der UN-Streitkräfte weist energisch alle Vorwürfe zurück, dass Teile des Schutzkontingents in irgendeiner Weise Partei ergreifen für welche Seite auch immer, geschweige denn aktiv an den Kampfhandlungen der Bürgerkriegskontrahenten beteiligt sind. Berichte dieser Art entbehren jeder Grundlage und erschweren die Zusammenarbeit mit den Medien insgesamt.
Zum Zweiten muss ich Ihnen berichten, dass uns vor einer Stunde eine Meldung aus Obaljak erreichte, die folgende Tatsachen enthält: Es handelt sich um ein kleines bosnisches Dorf am Flüsschen Jadar, ich markiere es für Sie auf der Karte. Der Ort wurde heute Morgen von muslimischen Rebellen überfallen. Offensichtlich haben die Einwohner Gegenwehr geleistet, denn die Islamisten haben den Ort völlig verwüstet. Sie sind mit einer bestialischen Grausamkeit vorgegangen, die Ihresgleichen sucht. Die gesamte Dorfbevölkerung, annähernd einhundert alte Männer, Frauen und Kinder sind buchstäblich massakriert worden. Die Siedlung bietet ein grauenhaftes Bild. Wir können Sorge dafür tragen, dass nichts verändert worden ist, und die kroatischen Militärs in ihren Stellungen in den naheliegenden Bergen haben eine vierundzwanzigstündige Feuerpause zugesichert, so dass wir Sie zu einer Besichtigung einladen können. Nach unserer Ansicht hat die internationale Öffentlichkeit ein Recht darauf, von den Weltmedien dieses Beispiel ohne Parallele kriegsverbrecherischer Grausamkeit zu erfahren. Jedermann kann daraus erkennen, gegen welche barbarischen Kriegstreiber die Vereinten Nationen hier im Kampf..., ehem, friedenssichernde Maßnahmen durchführen, ohne für irgendeine Seite Partei zu ergreifen.
Unsere bereitgestellten Helikopter erwarten Sie um vier Uhr in der Früh zum Abflug von Vojkovic. Teilnehmer wollen sich bitte mit Angabe von Nationalität und Auftraggeber in die Liste eintragen, die am Eingang ausliegt.“
Der Hauptmann verließ den Saal, ohne den Anwesenden die Gelegenheit zu geben, Fragen zu stellen. Anica wandte sich zum Gehen, als sie auf ihren Kollegen Zudeck-Perron stieß, der sich zu
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