Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
ihr vordrängte. „Klingt ja mächtig interessant diesmal“, sagte der Rheinländer und rieb sich grinsend die Hände. „Das ist genau das, was Papa Heiners Ältester jetzt brauchen kann.“
„Irgendetwas daran riecht nach Fisch“, zweifelte Anica, sich auf dem Absatz umdrehend, „und der stinkt bekanntlich am Kopf.“
„Wenn wir dort gewesen sind, werden wir´s wissen“, rief der Fotoreporter ihr nach, zupfte seine Lederjacke zurecht.
Den Rest der Nacht verbrachte Anica damit, Bänder zu schneiden und Standbildvergrößerungen anzufertigen, ehe es Zeit wurde, mit ihrem Roller zum Aerodrom hinauszufahren. Als sie dann das „Wop! Wop! Wop!“ der Helikopter vernahm, dachte sie an die Pilotin Mary-Jo und wie es ihr wohl ergehen mochte. Die Rotorblätter gaben wehmütige Klagelaute von sich, als tackerten sie in einem Geheimcode: „Ob´s gut geht… ob´s gut... ob´s...“
Während der letzte Hubschrauber abhob, erschien die Sonnenscheibe über dem Tal und brachte mit ihrem rötlichen Licht etwas Farbe auf die Gesichter der unausgeschlafenen Reporterteams, die gähnend beieinander hockten. Zudeck-Perron war nicht zu sehen, er musste mit einer der früher gestarteten Maschinen geflogen sein. Als die Bell YH 40 mit Anica an Bord unweit des Dorfes Obaljak niederschwebte, herrschte an der Landestelle bereits geschäftiges Treiben. Kroatische gepanzerte Geländewagen brachten die Journalistin die wenigen hundert Meter bis zur Ortschaft, weil mit Verminung zu rechnen war.
Mancher der Medienleute kam mit, weil er fast vor Neugierde verging, weil er Zeuge einer Katastrophe zu werden hoffte, die ihn nicht betraf. Dann genoss er den Nervenkitzel eines Zusehers, der sich in seinen gepolsterten Kino- oder Fernsehsessel zurücklehnte und froh war, dass es ihn selbst nicht erwischen konnte.
Obaljak war eine Siedlung auf einer kleinen grünen Insel zwischen einem Bergmassiv und dem koniferengesäumten Steilufer eines Canyons gewesen. Eine Brücke führte halbwegs intakt in eine enge Seitenschlucht, die mit Felsbrocken verbarrikadiert war. Jetzt bestand der Ort nurmehr aus einer Ansammlung von verkohlten Trümmern. Einwohner schienen nicht mehr zu existieren, kein Vieh war zu hören, kein lebendes Wesen zu sehen, überhaupt nichts. UN-Militärs hatten ringsum Posten bezogen. Dort, wo die kleinen Maisfelder begannen, an den Säumen niedrigen Nadelwalds der Felshänge, glänzten die blauen Stahlhelme in den schräg einfallenden Sonnenstrahlen. Auf den Berghöhen beiderseits des Talkessels blitzten die Spiegelungen kroatischer Geschütze und Fernrohre. Anica entdeckte, als sie genauer hinsah, längs des schmalen Gebirgspfades, der die Ortschaft früher mit der Außenwelt verbunden hatte, kroatische Soldaten in Kompaniestärke. Bei der Annäherung an das Dorf zwischen Mauertrümmern und verbrannten Resten der Holzdächer waren die ersten toten Schweine zu erkennen. Bereits aufgedunsen stachen ihre Beine steif ausgestreckt in die Luft, die den leicht süßlichen Geruch beginnender Verwesung in die Nasen der Ankömmlinge trug. Der kroatische Offizier in Stahlhelm und Tarnanzug mit dem grünen Namensschild „Sinovic“ über der linken Brusttasche sammelte die Journalistenschar um sich. Das halbverdorrte Apfelbäumchen hinter ihm trug, zwischen zwei dünne Astgabeln gezwängt, eine Tafel mit der Skizze des Dorfes. Sinovic, ein langaufgeschossener, drahtig wirkender Major mit heller Sommersprossenhaut, kam Anica in seiner viel zu weiten Uniform vor wie eine Vogelscheuche, trotz seines riesigen rötlichen Schnurrbartes, mit dem er seine beim Sprechen zuweilen nervös zuckenden Mundwinkel kaschieren wollte.
„Da können zwei Falken drauf landen“, raunte Zudeck-Perron neidvoll-beifällig von hinten. Trotz aller strotzenden Männlichkeit, dachte Anica, ließe ich mich von ihm nicht bezwingen. Major Sinovic lupfte kurz seine Spiegelglassonnenbrille, die wasserblaue Augen verbarg. Breitbeinig stehend gab er knapp, abgehackt seine Erläuterungen.
„Das Dorf Obaljak. Neunundachtzig Einwohner, fünfundvierzig Häuser. Ziegel mit Lehm beworfen, die übliche Bauweise, ein kleines Kloster. Seit einem halben Jahr beruhigtes Gebiet, von den Stützpunkten Zvornic und Arandjelivac aus kontrolliert, sowie sporadisch von der UNO. Keine Kampfaktivität seitens der katholischen Bevölkerung für irgendeine der Sezessionsparteien. Man lebte von Maisanbau und ein wenig Viehzucht. Drei Klosterkühe, Schweine, Hühner. Niemals besondere
Weitere Kostenlose Bücher