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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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Flugkörper zischen durch die Nacht...“, fuhr Anica mit bebender Stimme fort und hielt zwischendurch das Mikro zum Fenster hinaus, um den Lärm aufzunehmen. Rahmen und Glas zitterten. Dragan öffnete die Tür zum angrenzenden Bad, und sie hatten einen Panoramablick über die gesamte Kapitale.
Schließlich, während einer kurzen Unterbrechung ihres Monologs, bekam die Journalistin Antwort aus Hamburg.
    „Anica, dies ist eine denkwürdige Nacht“, sagte der Moderator mit aufgeregter, bebender Stimme. Man hatte ihr seit Minuten zugehört, ihre Bilder ausgestrahlt und nur darauf gewartet, dass sie einmal eine Verschnaufpause einlegte. „Wir sind froh, heute Nacht bei Ihnen sein zu können. Machen Sie weiter. Die ganze Welt hört Ihnen zu...“
    Anica fühlte sich glücklich. Freilich auch weil sie liebte und wiedergeliebt wurde. In Bürgerkriegszeiten war die Liebe ein Panzer, hatte Dragan ihr einmal geschrieben, die Liebe beschützte vor Geisteskrankheiten und vor fast aller Unbill des Lebens. Anica pflichtete ihm bei, auch in einer so problematischen Verbindung wie der Ihrigen mit zwei verschiedenen Staatsangehörigkeiten und zwei abweichenden Religionen.
„Wie einsam du bist“, sagte Dragan, als sie unter seinen beobachtenden bewundernden Augen zu Ende gesprochen hatte.
„Bestimmt nicht“, entgegnete sie und schüttelte ihre Mähne, „das bildest du dir bloß ein. Mit dir bin ich niemals einsam. Mit dir ist es immer behaglich und frohmütig.“
    „Ich liebe dich, Anica. Von ganzem Herzen. Wenn jemand mit einer Waffe daherkäme und einen von uns töten wollte, würde ich mich für dich opfern.“
    „Ich liebe dich ebenso sehr, Dragan. Wenn jemand eine Sprengkapsel zwischen uns würfe, würde ich sie geschwind herunterschlucken, um dich mit meinem Körper zu schützen.“
    „Und wenn sie mir drohen würden, mich mit ihren Panzern platt zu walzen, damit ich dich verlasse, ich täte es nicht.“
„Und wenn sie mir mit der Zange die Zunge aus dem Mund rissen, würde ich weiter deinen serbischen Namen rufen.“
    „Und wenn ich die Wahl hätte, eine Woche von dir getrennt zu sein oder mir die Nase abschneiden zu lassen, würde ich mich ohne Zaudern von ihr trennen...“
    Unvermittelt brachen sie ab, sahen, die Blicke abrupt voneinander gelöst, zu Boden, schwiegen betreten etliche Augenblicke lang.
    Anica brach als erste die Stille. „Weißt du, Dragan, wie es klingt: die Sprache, mit der wir unserer Liebe Ausdruck verleihen? Als jaulten Singvögel!“
    „Und als zwitscherten Wachhunde, meinst du“, erwiderte Dragan, gab Anica einen kleinen, zärtlich gemeinten Nasenstüber mit dem Zeigefinger ohne Rücksicht darauf, dass sie es partout nicht leiden konnte. „Ist es ein Wunder in diesen Zeiten, wenn sich sogar die Sprache der Liebe des Vokabulars von Gewalt und Terror bedient?“ Er lachte, ein wenig verlegen und wie entschuldigend.
„Da gibt´s nichts zu lachen“, rief Anica ernsthaft, beklommen und in dem Gefühl einer allmählich aufkochenden Wut. Seine machohaften Stupser auf ihre Nasenspitze konnte sie von Anfang an nicht ausstehen. „Siehst du nicht, wie verkommen wir bereits sind?“
    „Ach was, Anica“, versetzte Dragan mit stockender Stimme. „Unsinn.“ Seine Kehle krampfte sich zusammen, und das Lachen war ihm ob ihres Tonfalls im Halse stecken geblieben. Er sah sie an, sein Blick wurde nicht erwidert.
    Beiden wurde bewusst, dass sie unversehens wieder einen Punkt erreicht hatten, an dem ihre Liebe keineswegs harmonisch war und frei von Konflikten.
    „Ich rede also Unsinn!“ entfuhr es Anica barsch.
    „Das habe ich nicht gesagt.“
    „Was lügst du?“ fauchte Anica. „Du hast gesagt: `Unsinn.´!“
    „Quatsch! Du weißt, dass ich es so nicht gemeint habe.“
    „Quatsch?! Du bornierter Ruppsack, du!“ Sie griff nach einem Röhrchen Vitamintabletten, holte bereits aus, um es nach ihm zu werfen.
„Ich vertraue dir“, murmelte er, aufrecht vor ihr stehend, offenen Blicks, „und ich fühle mich mit dir in Frieden.“ Er hob nicht einmal die Hand, um sein Gesicht zu schützen.
Sein Verhalten stachelte Anicas Wut nur noch mehr an. Ihre Pupillen schossen Blitze auf ihn ab, und sie drehte das Teleobjektiv am Fenster um, hielt es auf ihn gerichtet, machte „Ratatatatata“ wie ein MG. Unwillkürlich hielt sie inne, weil ihr die Assoziation mit dem Zielfernrohr eines Heckenschützen in den Sinn kam, und sie schämte sich, dass sie auf den Kopf ihres Geliebten zielte, wo doch ihre Wut

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