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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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kam der entschiedene Befehl: `Niederlegen!´ Wenn auch unwissend genug, spürte ich doch instinktiv, dass dies nicht gut war. Doch warf ich mich auf die Erde wie alle anderen. So lagen wir, während die Artillerie ihre tödlichen Ladungen über uns ausstreute und während das Tack-Tack der Maschinengewehre das Feld bestrich. Niemals sind so viele von uns liegend getötet worden. Wie auf einem Teller bist du da. Keine Furche gibt es in der Erde, keinen Stein, hinter dem du dich verbergen könntest. Aber man muss doch weiter. Muss nach vorn. Jäh verrollte das Donnerrumoren der Waffen. Das Gesicht in den Staub gepresst, horchte ich auf. Die tiefe Stille um mich her erstickte. Ich muss die Verbindung wiederfinden, dachte ich, muss die Einsamkeit zerbrechen. So taste ich nach rechts, doch der neben mir schläft. Warum schläft er? Plötzlich fühle ich Feuchtigkeit an meiner Hand, sehe sie rot von Blut. Auch die linke blutet, wie ich zu meinem Nachbarn taste. Eingerahmt bin ich von Toten. Auch vor und hinter mir werden die Schlummernden nicht mehr wach. Unsagbarer Schrecken erfasst mich, würgt mir die Kehle, nimmt mir den Atem. Deshalb berührte es mich so stark, fast als wäre es schon die Rettung, als ich die Stimme hörte. Sie kommt von hinten her und lauter wird sie. Da ist auch schon der Truppführer nach vorne gestürmt. `Vorwärts, Lepa Brena!´ ruft er, mich bei meinem Kosenamen rufend. `Es ist schändlich, im Liegen zu sterben!´ Also laufe ich mit ihm. Eine wilde Freude, dass ein Lebendiger voranschreitet, einer der Befehle gibt, erfüllt mich. Und ich renne neben ihm her, und wir beide dringen in die Stadt ein, ohne nach rückwärts zu schauen. Da vernehme ich unsere einsamen Schritte auf dem Asphalt. Wir sind zu wenige. So können wir Doboj nicht besetzen. Wie im Alptraum ist das, wie ein Lavastrom, der alles mit sich reißt, sind wir durch die Hauptarterie gestürmt. Eine lange Frühlingsnacht dauerte der Kampf. Dann jedoch verließen wir Doboj, am gegenüberliegenden Ende der Stadt. Und erst als wir draußen sind, in der Dunkelheit und geborgen, da bemerken wir, dass fünf der Unsrigen fehlen. Es sind hervorragende Kameraden... und der MG-Schütze ist dabei. Sie haben wohl nicht mitbekommen, dass wir unsere Stellung bereits aufgegeben haben und außerhalb der Stadtgrenze stehen. `Einer muss zurück´, sagt der Truppführer und in seinem Ton liegt etwas Dunkles, Abwartendes. Bitteres Schweigen erfüllt die Luft. Da sehe ich vor meinem inneren Auge das Gesicht des MG-Schützen, der in der Stadt zurückgeblieben ist, es erinnert mich an seine Zielsicherheit, seine Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft und seinen Mut: Er wäre zurückgegangen! Unversehens scheint es mir gar nicht der Tod, der in der Stadt wartet, sondern... der beste Freund. Ich trete vor, sage: `Natürlich gehe ich.´ Und wie es das Schicksal will und wie du siehst, Herr Reporter, wie ich da vor dir sitze, ist es geglückt. Ich war unsichtbarer, schlauer und kräftiger denn je. Ich besiegte die Vorsicht der Feinde, indem ich mich durch ihre Linien, an ihren Posten vorbeiwand und drum herum durch enge Gassen den Weg fand zu... den Gefahren und sie hinausführte zu den unsrigen.“
    Zudeck-Perron nickte zu jedem Satz des Mädchens gütig lächelnd, und mit ernsthaften, klugen Augen blickte Lepa Brena nicht in Anicas Kamera, sondern ihm allein ständig in die Augen.
Über alles, was es erlebt hatte, sprach das Mädchen mit der rauen, erregten Stimme des gerade Erfahrenen wie über eine Kette von Ereignissen, von denen jedes einzelne so und nicht anders sein musste.
    „Wo Gewalt mit Gewalt vergolten wird“, schloss das Mädchen und wandte nun den Blick zum Kameraobjektiv, „da helfen nur Menschen, wo Menschen sind.“ Und seine braunen Augen des Erinnerns sahen durch die Kamera und die Journalistin hindurch in diese Frühjahrsnacht von Doboj.
    „Du hast Schlimmes erlebt“, sagte Anica. „Manchmal hilft es, wenn man in den Kampfpausen bei Gelegenheit meditiert oder ein Buch liest. Ein Klassiker vielleicht. Dann ist alles nicht gar so schlimm.“
    „Schlimmer als der Tod ist die Krankheit“, sagte Brena. „Wenn sie sich an dich hängt, bist du blind, gelähmt, kraftlos. Sie macht dich zu einem hilflosen Wrack.“
    „Und gibt es noch Schlimmeres als die Krankheit?“ fragte die Reporterin und flehte ein stummes Gebet, dass die Tapes reichen mochten.
    „Schlimmer als die Krankheit ist der Hunger“, erwiderte Brena. „Der raubt dir den

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