Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)
schützen. Zumal man uns, wie Sie sehen können, die härtesten Kampfmethoden aufzwingt.“
Anica sah angeekelt zu, wie Sinovic die Schurrbartenden zwirbelte mit Fingern, die eben noch Läuse zerquetscht hatten, da waren von der Gebirgshöhe Schüsse zu hören. Dort oben lagen die kroatischen Stellungen. Eine Granate schlug ein, im nahegelegenen Wald, mit Krachen und Getöse. Die erste Detonation wirkte – infolge des Überraschungseffekts – stets lauter als die nächsten, schoss der Journalistin durch den Kopf, und schien näher zu liegen als in Wirklichkeit.
Es folgte eine Serie dumpfer Detonationen, deren Qualmgewölk über der hellbraunen Schulter des Berges aufstieg. Sie gellten nicht so in den Ohren, weil sie nicht mehr überraschend kamen. Die Piloten drängten gleichwohl zu schnellem Abflug. Sie hofften, den Schauplatz verlassen zu können, noch ehe man in die Kampfhandlungen verwickelt würde. Gleichzeitig entstand ein rigoroses Geschiebe an den Einstiegsluken der Hubschrauber. Zustände waren das hier, dachte Anica, wie an einer deutschen Bushaltestelle.
Zudeck-Perron war von einem Bein auf das andere tretend dagestanden, hatte es so eingerichtet, dass er mit der deutschen Kollegin in derselben Maschine saß. Der Bonner wischte sich mit seiner beigen Campingmütze die Schweißtröpfchen von der Stirn. „Verflixte Warterei wieder“, murrte er. „Man hätte sie längst begraben sollen. Es stinkt zum Himmel, ganz unerträglich. Finden Sie nicht auch?“
Als der Helikopter aufstieg, flutete helles Licht über den Gebirgsrücken ins Tal hinab. Anica wechselte die Kassetten.
„Richtig, sie sollten sie jetzt beerdigen“, sagte sie. „Sie haben ihren Zweck erfüllt.“
„Ekelerregend“, knurrte Zudeck-Perron, zog die Lederjacke am Revers zusammen, blickte ängstlich aus dem Lukenfenster. „Na, gleich haben wir´s geschafft.“
„Und ganz erstaunlich“, meinte Anica und sah ihren Kollegen an. „Im Dorf befindet sich wenigstens eine Kompanie Kroaten. Doch niemand von ihnen hat bemerkt, wie die Muslime zurückgeschlichen sind, um ihre Parolen auf die verkohlten Bretter zu pinseln.“
Zudeck-Perron verzog keine Miene, sah aus dem Fenster, hinüber zum nächsten Helikopter, der in geringer Entfernung wie ein bleiches Rieseninsekt vor der Hünenbrust des Bergmassivs aufschwebte, und er presste die Lippen zusammen.
28 Lepa Brena
Plötzlich einsetzendes Artilleriefeuer von den Bergkämmen her zwang die Hubschrauber zur Umkehr. Die Männer blickten mit beklommenen Mienen aus den Bullaugen zum Himmel, wo sich Pulverrauchschwaden der detonierenden Werfergranaten und Staubwolken der gesprengten Felsenpartien bildeten. Anica sah nach unten, wunderte sich über die Holzflöße, die – besetzt mit uniformierten Bewaffneten – in der Biegung des Flusses bergaufwärts zu erkennen waren. Schon rumpelten die Maschinen landend auf dem ausgedörrten Boden des Dorfplatzes. Während die Insassen hastig ausstiegen, schlug eine Serie dumpfer Explosionen in das nahe dem Ortsrand liegende Maisfeld ein, Qualmpilze schossen hinter Mauerresten hoch, weitere Detonationen der Werfermunition erschütterten die Erde.
„Das sind unsere eigenen Granatwerfer!“ schrie Sinovic mit sich überschlagender Stimme. „Die Moslems müssen sie überrumpelt haben! Volle Deckung!“
Die kroatischen Soldaten warfen sich auf den Boden und schossen aus der Deckung der Mauerreste auf die Uniformierten, die unversehens vom Fluss her auf sie zuliefen und ihnen Handgranaten entgegenwarfen. Die muslimischen Kämpfer bewegten sich mit ihren zweigbehängten Stahlhelmen auf das Dorf zu.
„Weg!“ schrie Zudeck-Perron. „Nichts wie weg! Sie sind im Dorf!“
Anica schüttelte den Kopf. Wohin will er denn, dachte sie, wie will er aus dem Talkessel entkommen? Und da sie sich nicht vom Fleck rührte, zog der Fotoreporter es vor, in ihrer Nähe zu bleiben. Maschinengewehre hämmerten, Handgranaten explodierten krachend. Einer der Hubschrauber hob schwankend ab, der Pilot versuchte, Höhe zu gewinnen. Die Turbine heulte auf, doch das MG-Feuer hatte die Libelle bereits tödlich verletzt.
Immer langsamer drehten sich die Rotorblätter, die Heckschraube hatte Aussetzer, dann begann die Maschine zu kreiseln und ging wie ein plumper Pelikan hinter dem Dorf nieder, wo der Pflaumenbaumhain bis an den Gürtel des Maisfeldes heranreichte. Aus gleicher Richtung strömten die Kämpfer der muslimischen Bosniaken flinkfüßig über die schmalen Felsstiege
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