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Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition)

Titel: Afghanistan, Srebrenica & zurück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert F. Schaaf
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zwischen den Obstkulturen ins Dorf hinein.
    Zudeck-Perron hob den Fotoapparat und knipste das Handgemenge, das sich am Dorfrand entspann. Anica hielt ihre Kamera auf eine Gruppe Soldaten der Muslime, die im Laufschritt über den Hauptweg herbeikamen.
    Unversehens wurden beide, ihre Objektive noch an den Augen, von einem recht jungen Menschen in die halbwegs intakte Veranda eines ansonsten verwüsteten Hauses gezogen. Er trug Uniform, die Jacke über die Hose gegürtet, mit dem Abzeichen des grünen Halbmondes auf Mütze und Ärmel.
    „Wer sind Sie?“ fragte Zudeck-Perron verblüfft mit geweiteten Augen.
    Der junge Mensch mochte achtzehn Jahre zählen, sein Auftritt war bestimmt-selbstbewusst, und auch Anica bemerkte den schmalen Lederriemen, der an seinem rechten Handgelenk in die Tasche seiner Uniformhose führte. Sie zweifelte nicht, dass am anderen Ende des Riemens eine Waffe hing.
    „Ich bin zu Ihrem Schutz da“, hörte sie eine mädchenhafte Stimme schlicht sagen. Anica sah das um den zarten Hals gebundene rote, ein wenig verblichene Tuch, und die sich unter der Uniformjacke abzeichnenden Konturen zweier kleiner emporstehender Hügelchen. Verlegen drehte die kleine Person den Kopf etwas zur Seite. Die Haare, kurz wie ein Junge, ringelten sich im Nacken des Mädchens in nachwachsenden Löckchen.
    „Es wird nicht mehr geschossen“, stellte Zudeck-Perron fest; der Gefechtslärm war abgeebbt, schließlich verstummt. Fasziniert betrachtete der Fotoreporter das Gesicht des Mädchens: kantig mit steiler Stirn und hohen Wangenknochen, darin leuchtende braune Augen und ein kleiner Mund mit hübschen, etwas vorstehenden, aber ebenmäßig ausgeformten Lippen. Eine ausgefallene Schönheit, fand Zudeck-Perron. Der Gesichtsausdruck aber schien ihm sonderbar – entschlossen und gedankenverloren zugleich. Wenn sie ihn ansah, hob sie eine Augenbraue, als fühlt sie sich durch ihn an irgendetwas erinnert.
    „Und deutsch spricht sie auch“, entfuhr es zusammenhanglos, bewundernd dem Fotografen, unsicher, wie er die junge Frau ansprechen sollte.
    „Ich habe einen Teil meiner Kindheit in Deutschland verbracht“, erklärte sie.
    „Du bist sehr jung“, sagte Anica, und sie bemerkte erstaunt, wie die Blicke des Mädchens und die des Kollegen sich trafen, miteinander kommunizierten.
    Zudeck-Perron lächelte das Mädchen an.
    „Ich sehe aus wie ein Knabe“, sagte es und gab das Lächeln zurück. Stolz klang in seiner Stimme mit und ein leiser staunender Triumph. „Sie haben mich nicht erkannt in meinem Dorf, als ich mit meiner Einheit durchzog, das Gewehr auf dem Rücken, die Handgranaten am Gürtel. Dabei nannte man mich früher nur Lepa Brena.“
    Gerade, schlicht und gläubig waren die zart-kantigen Linien ihres Gesichtes. Erschreckend musste sie aussehen, dachte Anica, wenn sie die Sprengkörper schwang, weitausholend in die gegnerischen Reihen warf. „Schöne Brena“, sagte die Reporterin, „der Name passt zu dir.“
    „Und du trägst ihn zu recht“, schloss sich Zudeck-Perron liebenswürdig lächelnd an und dachte: nicht übel die Kleine.
    „Darauf kommt es nicht an“, sprach die junge Frau, sich über die Stoppelhaare fahrend. Sie blickte dem Fotoreporter aus ernsthaften Augen offen ins Gesicht. „Ich bin Bombenwerferin meiner Einheit. Zuletzt waren wir in Doboj, dort erlernte ich die Furcht vor dem Tode.“ Mit einer einladenden Handbewegung geleitete sie die Journalisten in den Seitenraum; er war völlig leer bis auf ein paar rechteckig gepresste Strohballen.
„Wie das?“ fragte Zudeck-Perron und legte eine Spur Bewunderung in seine Stimme und in das Lächeln, das er der schönen Brena schenkte. Aus den Augenwinkeln nahm er die Kollegin wahr, die ihre Kamera ansetzte und das Mikrophon zuschaltete. Der Fotoreporter trat ein Stück zur Seite, um selbst in den Kamerablickwinkel zu gelangen.
    „Als wir ausschwärmten“, begann das Mädchen unbefangen zu erzählen, „und auf die Stadt Doboj zuschritten, als wäre sie schon unser, aufrecht, das Gewehr schussbereit an der Hüfte und die Handgranaten bereits entsichert, rief uns plötzlich der vorderste Wachposten des Feindes ein scharfes `Halt!´ zu. Aber da hätten wir nicht halt machen dürfen, da hätten wir stürmend in die Stadt eindringen müssen. Es hätte Opfer gegeben. Doch wir wären eingedrungen... Nichts ist so gefährlich wie die Ebene des offenen Feldes. Da also passierte der Fehler, in dem Augenblick, als der Anruf des Wachpostens erfolgte,

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