African Angel - Mit 50 Cents die Welt veraendern
besucht, je nach unserer Konfession. Überhaupt war das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen bei uns in Accra immer positiv, man lebte und arbeitete gemeinsam. Auch heute gibt es in Ghana noch keine echten Spannungen. Doch inzwischen wurde eine Koranschule nach der anderen gebaut und die Kinder gehen nicht mehr gemeinsam zum Unterricht. Das finde ich sehr schade. Denn wächst man in Frieden miteinander auf, bekommt man dieselben Werte des Zusammenlebens vermittelt, dann gibt es auch später keine Feindseligkeiten.
Es war eine Muslimin gewesen, die meiner Mutter nach der Zerstörung des Makola-Marktes eine Basis zum Weiterarbeiten geboten hatte. Noch heute bin ich Hajia sehr dankbar, und wenn ich in Accra bin, dann statte ich ihr einen Besuch ab.
Meiner Familie ging es, wie gesagt, inzwischen nicht mehr so gut. Doch ich war ein aufgeweckter, lebenshungriger Teenager und hatte andere Dinge im Kopf. Jungs wurden zunehmend spannend und ich hatte meine ersten harmlosen Flirts, später auch einen richtigen Freund.
In Afrika hat niemand etwas dagegen, wenn ein Mädchen in jungen Jahren seine Erfahrungen mit Männern macht. Jungfräulichkeit ist bei uns keine Voraussetzung für die Eheschließung, sondern es ist ganz normal, dass sich eine Frau in einigen Beziehungen ausprobiert, ehe sie »den Richtigen« findet. Wir waren aufgeklärt und auch Aids war für uns kein Fremdwort. Uns wurde gesagt, dass diese Krankheit aus Europa eingeschleppt worden sei, noch heute wird das offiziell so erklärt. Erst als ich in Deutschland lebte, habe ich erfahren, dass man in Europa glaubt, Aids käme aus Afrika. Was habe ich damals gelacht!
Wir wussten also, dass wir Kondome benutzen sollten, vor allem wenn wir mit Männern schliefen, die in Europa gewesen waren. So machten meine Freundinnen und ich unsere ersten Erfahrungen, genau wie die jungen Mädchen in Europa auch. Afrikaner legen allerdings höchsten Wert auf Diskretion, die hierzum guten Ton gehört. Ein Mädchen bringt ihren Freund nicht mit nachhause und stellt ihn auch nicht ihren Eltern vor. Ebenso wenig lässt sie sich von ihrem Verehrer von zuhause abholen. Erst wenn ein Paar wirklich heiraten möchte, vollzieht sich der Ritus nach vorgegebenen Regeln. Doch in den 1980er-Jahren, als ich ein Teenager war, heirateten die wenigsten mit großem Tamtam, das war einfach nicht modern. Eine kirchliche Heirat gab es vielleicht einmal im Jahr, öfter nicht. Man heiratete standesamtlich, und das auch nur, wenn es einen Grund dafür gab.
In der westafrikanischen Tradition ist Polygamie für Männer bis vor Kurzem fest verankert gewesen. Die Männer nahmen sich so viele Frauen, wie sie wollten; üblich waren zwei bis vier. Zwar durften sie laut Gesetz nur eine Frau standesamtlich heiraten, darüber hinaus konnten sie aber durch eine traditionelle Hochzeit weitere Frauen ehelichen. In der Praxis handelte es sich hierbei um eine Vereinbarung, die zwischen zwei Familien getroffen wurde, in Afrika jedoch ebenso bindend wie eine offizielle Trauung war. Auch heute noch leben viele Männer polygam, wenn auch sehr verschwiegen. Diese Möglichkeit gibt es natürlich nicht für verheiratete Frauen. Ihnen wird in unserer Gesellschaft keine Liebschaft zugestanden, das ist ein absolutes Tabu. Was selbstverständlich nicht heißt, dass afrikanische Frauen keine Affären haben. Aber sie müssen streng geheim gehalten werden – wird die Beziehung öffentlich, bedeutet dies die Trennung. Ausnahmen gibt es nicht.
In der Generation meiner Eltern war es üblich, dass Männer eine zweite Frau haben konnten. Wer seine erste Frau jedoch liebte, hielt diese Zweitbeziehung geheim. Es war eine Frage des Respekts der ersten Frau gegenüber. Machte ein Mann seine zweite Frau öffentlich, dann eigentlich nur, um die erste loszuwerden – außer die erste Ehefrau akzeptierte den Umstand, dass es nun eine zweite neben ihr gab. Und auch dies kommt immer noch vor. Allerdings hat die sogenannte »zweite Frau«heute eher den Status einer festen Geliebten, wie man es auch in Europa kennt, und ihre Existenz wird meistens geheim gehalten. Schwierig wird es, wenn die Geliebte Kinder bekommt. Nicht selten erscheinen bei der Beerdigung eines Mannes ganze Sippen, von der die erste Ehefrau nicht die geringste Ahnung hatte. Wie immer in Afrika gibt es bei diesem heiklen Thema in der Praxis viele Varianten und Spielarten.
Hat die erste Ehefrau eine gute Beziehung zu ihrer Schwiegerfamilie, kann es schon vorkommen, dass
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