African Angel - Mit 50 Cents die Welt veraendern
einstiges Zentrum, wo auch meine Mutter ihren Stand hatte, heißt jetzt Rawlings Park und ist ein Parkplatz. Jedenfalls offiziell. Wer aber heute dem Rawlings Park einen Besuch abstattet, stellt fest, dass sich der Makola-Markt wie eine hartnäckige, wild wuchernde Pflanze dort und in den angrenzenden Straßen und Plätzen wieder ausgebreitet hat. Wo auch immer ein Marktstand errichtet werden kann, wird einer aufgeschlagen, sei es zwischen geparkten Autos oder auf Verkehrsinseln; auch da, wo gerade noch eine Straße war, verschwindet sie unter den Waren der Marktfrauen. So wird eine Straße nach der anderen für Autos unpassierbar, weil überall Verkaufsstände aus dem Boden sprießen. Wie ein Symbol für die zähe und ungebrochene Macht der Marktfrauen wirkt eine Verkehrsampel nahe dem Rawlings Park, die fast vollständig unter riesigen Stapeln aus Wolldecken verschwunden ist. Nur das Verkehrslicht selbst lugt noch aus der Ware heraus. Selbstverständlich ist die Ampel schon lange außer Betrieb, schließlich gibt es keinen Straßenverkehr mehr, den sie regeln könnte. Das Markttreiben hat dessen Existenz völlig überflüssig gemacht und ihm seine eigenen Gesetze – im wahrsten Sinn der Worte – übergestülpt.
Was für meine Familie damals eine Katastrophe gewesen ist, hat für mich eine Wendung zum Guten gebracht. Endlich hatte meine Mutter nichts mehr dagegen, dass ich das Abitur machte. Die Zerstörung des Marktes ist für sie ein schwerer Schlag gewesen, von dem sie sich nie wirklich erholt hat. Mein Vater verdiente als Transportmanager bei Ghana Oil nicht schlecht, doch für den Wohlstand war unsere Mutter verantwortlich gewesen. Ich habe noch die Szene vor Augen, die sich vor Rawlings’ Putschtagtäglich wiederholt hatte: Meine Mutter kam vom Markt nachhause, von dem mein Vater sie jeden Abend mit dem Auto abholte. Sie trat in ihr Zimmer und warf das ganze Geld auf ihr Bett. Und mein Vater ging hin, klaubte die großen Scheine heraus und steckte sie ein. Meine Mutter lachte vor Stolz und erlaubte es ihm großzügig. Sie liebte meinen Vater abgöttisch.
Auch viele Jahre später, auch nachdem er sich von ihr abgewandt hatte und in Not gekommen war, reichte sie ihm ihre Hand und half ihm. Einmal, wenige Jahre vor dem Ende des Makola-Marktes, hatte sie meinem Vater ein Flugticket nach London gekauft und ihm die Reise zu Verwandten finanziert. Sie selbst war zuhause geblieben, hatte aber eine riesige Party veranstaltet und überall groß damit angegeben: »Mein Mann ist nach Europa geflogen! Er hat in einem Flugzeug gesessen!« So etwas galt damals als Statussymbol: Wer es sich leisten konnte, nach Europa zu fliegen, der gehörte zu den Reichen. Kurze Zeit später war es damit aus und vorbei.
Die ganze Macht meiner Mutter, ihr Einfluss, die Achtung, die man ihr entgegenbrachte, und ihr Stolz waren mit der Zerstörung des Marktes dahin. In dem komplizierten Geflecht unserer Familien war sie aufgrund ihrer Machtposition als Makola-Frau und ihres Reichtums wohlgelitten gewesen, auch bei der Verwandtschaft meines Vaters, die meine Mutter von Anfang an nicht besonders gut hatte leiden können. Selbst gegenüber der Familie ihrer Tante, von der sie einst in die familieneigene Bäckerei aufgenommen worden war, hatte meine Mutter ihre Erfolge nicht ohne Genugtuung ausgespielt – war sie doch als Kind als die sprichwörtliche »arme Verwandtschaft« behandelt worden. Überall hatte sie finanziell ausgeholfen, ohne dabei aber jemals ihren Stolz zu verhehlen. Jetzt, da sie vor dem Nichts stand, erntete sie kaum Mitleid, sondern eher Hohn. Als hätte sie auf eine solche Gelegenheit nur gewartet, startete vor allem Tante Oforiwaa eine Hetzkampagne gegen sie, die unsere Familie zerstören sollte.
Von allen, die vom einstigen Wohlstand meiner Mutter profitiert hatten, half ihr ausgerechnet eine muslimische Freundin. Hajia hatte sich am Rand des abgerissenen Makola-Marktes einen Stand sichern können, an dem sie noch heute Getränke verkauft. Sie erlaubte meiner Mutter, vor ihrem fest gebauten Stand an einem kleineren Tisch Stoffe zu verkaufen. So konnte sie wenigstens noch ein paar Geschäfte machen und sich über Wasser halten. Noch nie hatte sie Geld von meinem Vater gebraucht – und sie wollte auch weiterhin selbstständig sein.
Mein Vater, nur Absolvent der Mittelschule, hatte seine Karriere bei Agip begonnen und ist der erste afrikanische Fahrer des italienischen Ölkonzerns gewesen. Fleißig, zuverlässig
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