African Angel - Mit 50 Cents die Welt veraendern
einem späteren Zeitpunkt erzählte mir eine Freundin aus der Nachbarschaft, dass ich das schon vor vielen Jahren gesagt hätte, als wir alle kleine Mädchen gewesen waren und unter dem Baum in unserem Garten gesessen hatten. Dass ich ganz früh ein Baby haben und erst danach die Schule beenden würde. Und wenn ich dann groß wäre und einen Beruf hätte, dann würde ich mit meinem Kind ein schönes Leben führen. Da erinnerte ich mich. Wir lachten zusammen. Es war ein selten fröhlicher Moment in diesen schrecklichen Wochen gewesen. Denn meine Mutter, die einen ausnehmend starken Charakter hatte, wollte nicht aufgeben. Das Kind musste weg, das hatte sie beschlossen. Was ich mir eigentlich einbildete – hörte ich über Dritte, denn direkt sprach sie schon lange nicht mehr mit mir. Ich dürfe zur Schule gehen, habe die besten Noten. So viele Hoffnungen habe sie in mich gesetzt und jetzt würden all ihre Pläne über den Haufen geworfen.
Ja, das war es: ihre Pläne. Immer wollte sie in allem das letzte Wort und die Kontrolle haben. Dabei war ihr nach und nach ihre Macht entglitten. Die älteste Tochter wollte nach London. Die Jüngste war unheilbar krank und niemand wusste, wie lange sie leben würde. Und jetzt sollte Harriet auch noch einen Balg bekommen, statt die Schule ordentlich abzuschließen. In der Familie war ich immer der Liebling gewesen. Jetzt bekam ich zu spüren, wie es ist, als Aussätzige behandelt zu werden.
Ich hatte in diesen Wochen fürchterliche Angst. Es gab Geschichten, in denen schwangere Mädchen von ihren Verwandten einfach in ein Auto verfrachtet und in eine Abtreibungsklinik gefahren wurden, egal, in welchem Monat sie waren. Dort nahm man ihnen die Babys weg, ob sie nun wollten oder nicht. Meiner Mutter traute ich einen solchen Anschlag durchaus zu. Noch nie hatte mich meine Familie derart mit Verachtung gestraft. Immer war ich die Prinzessin gewesen, die Puppe. Harriet, die Schöne, Harriet, die Kluge, Harriet, der Sonnenschein. Und nun, von einem Tag auf den anderen, hatten mir alle ihre Liebe entzogen. Wenn sie wenigstens direkt mit mir geredet hätten, dass man sich hätte ordentlich streiten können. Aber so hüllten sich alle in Schweigen und Ablehnung.
In der Familie meines Vaters gab es eine kluge schöne Frau, die wir alle verehrten – Aunty Mary. Diese Tante kam eines Tages und redete mit mir. Offenbar glaubten die übrigen Familienmitglieder, dass ich es nicht wagen würde, dieser Respektsperson zu widersprechen. Aunty Mary erinnerte mich an meine hochfliegenden Pläne.
»Dansowaa«, sagte sie, denn als Ashanti sprach sie mich mit meinem afrikanischen Namen an, »wolltest du nicht immer die erste Pilotin Afrikas werden?«
Ich schwieg.
»Gehörst du nicht zu den Besten in deiner Klasse?«
Ich wandte den Blick ab und starrte gegen die Wand.
»Willst du das alles wegwerfen? Deine Zukunft? Dein Glück?«
»Was wisst ihr schon von meinem Glück!«, fuhr ich sie an.
»Es ist zu früh«, entgegnete sie geduldig, doch bestimmt. »Du wirst später Kinder bekommen, so viele du willst. Aber jetzt ist nicht die richtige Zeit.«
Sie versuchte es mit allen Mitteln. Probierte es mit Güte, mit Strenge. Irgendwann hielt ich es einfach nicht mehr aus.
»Ich werde nicht abtreiben«, weinte ich. »Das kannst du ihnen sagen. Ich will mein Baby. Warum lasst ihr mich nicht einfach in Ruhe?!«
Aunty Mary reiste unverrichteter Dinge wieder ab. Meine Mutter aber erklärte mir den Krieg. Sie behandelte mich schlecht, stieß mich herum, mitunter schlug sie mich auch. Ich erkannte sie nicht wieder. War sie dieselbe, die mich immer so verwöhnt hatte? Die mich gehütet hatte wie ihren Augapfel?
Ich weinte viel in dieser Zeit. Weinte und weinte. Ich hatte alles verloren. Meine Mutter hatte mich innerlich verstoßen. Meine Schwester kümmerte sich nicht um mich. Mein Vater machte mir zwar keine Szenen wie meine Mutter, aber auch er sagte, wie enttäuscht er sei. Dass sie alle gehofft hatten, aus mir werde etwas Vernünftiges, weil ich doch so gut in der Schule war. Und er es sehr schade finde, dass ich diesen »Blödsinn gemacht habe«. Danach ging er seiner Wege und ließ mich im Stich.
Da ich nicht mehr zur Schule ging, hatte ich auch all meine Freundinnen verloren. In dem vornehmen Viertel, in dem wir lebten, war ein schwangeres Mädchen ohne Mann außerdem ein Skandal. So etwas gab es in Adabraka einfach nicht.
Heute weiß ich, dass es auch für meine Mutter eine schwere Zeit gewesen
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