African Angel - Mit 50 Cents die Welt veraendern
ist. Meinen Vater musste sie sich mit einer anderen Frau teilen. Wie lange das schon so ging, wussten wir nicht. Meine Mutter konnte nicht mehr viel verdienen, was sie als Demütigung empfand. Da der Stoffverkauf auf dem Ladengrund ihrer Freundin Hajia nicht viel einbrachte, arbeitete sie in Bukom für entfernte Cousinen, die Kanus an Fischer vermieteten. Diese sind in der Regel zu arm, um sich ein eigenes Boot leisten zu können, weshalb sie einen großen Teil ihres Fangs an die Bootsbesitzer abliefern müssen. Fangen sie nichts, verlangen die Besitzer Geld für das verbrauchte Benzin, wodurch die Fischer Schulden machen.
Auch wenn ich inzwischen einen großen Bauch hatte und jeder Handgriff für mich beschwerlich war, so schleppte mich meine Mutter unbarmherzig in aller Herrgottsfrühe an den Strand von Bukom, wo wir die Fischer erwarteten, die Beute entgegennahmen und weiterverkauften. So musste ich mit Tellern voller Fisch auf dem Kopf durch die Straßen gehen und die Ware verkaufen.
Ich war sehr unglücklich. Meine Mutter und ihre Cousinen behandelten mich wie den letzten Dreck. Noch heute gibt es mir einen Stich ins Herz, wenn ich sie treffe. Wir gehen natürlich freundlich miteinander um, doch was sie mir damals angetan haben, belastet unsere heutige Beziehung immer noch sehr. Wenn ich einmal nichts zu tun hatte, ging ich am Saum des Atlantischen Ozeans entlang und weinte. Setzte mich auf eines der prachtvoll bemalten Fischerboote und weinte. Ich hatte kein Auge für die Schönheiten dieser Morgenstunden am Meer – das Spiel der Farben über dem Wasser, die herrliche Bucht, von einem Felsen geschützt, der in den Atlantik hinausragt und steil zum Sandstrand hinabfällt. Ich fühlte nur die Armut der Menschen und vor allem mein eigenes Leid. Ich weinte so viel, dass ich gar nicht weiß, woher ich die ganzen Tränen genommen habe. Meine Augen waren immer geschwollen. Und langsam, ganz langsam machte sich ein Gedanke in mir breit.
Wenn alle schon forderten, dass mein Baby sterben sollte, dann wollte ich mit ihm sterben.
Irgendwann war er da, dieser Gedanke. Ich sehe noch das Glitzern des morgendlichen Meeres. Rieche noch den Gestank nach Fisch, Tang und dem ganzen Bukomer Unrat, der Übelkeit in mir aufsteigen ließ. Höre noch das Gezeter und die verletzenden Worte meiner Verwandten. Fühle noch das Klopfen meines Herzens und den Schmerz tief darin. Und dann dieser Gedanke, der immer wiederkehrte: Wenn das Baby sterben soll, dann ich auch.
Aber wie?
In den einsamen Stunden, in denen niemand mit mir sprach, hatte ich viel Zeit, darüber nachzudenken. Und irgendwann hatte ich schließlich einen Plan.
Bei uns in der Wohnung gab es ab und zu Mäuse, gegen die meine Mutter mit Gift vorging. Ich wusste genau, wo ich suchen musste. Im Flur hatten wir einen sehr hübschen Schuhschrank, auf dem ein paar kleine Köfferchen standen. Und in einem der Koffer, ganz rechts hinten, fand ich die Flasche mit dem Gift. Das war die Lösung. Ich würde das Mäusegift einnehmen. Dann würde ich sterben und alles wäre vorbei.
Und so tat ich es dann auch. Trank die Flasche in einem Zug leer. Wartete, dass etwas passierte. Aber es passierte nichts. Ich war enttäuscht: Was, wenn das Gift nicht wirkte? Ich hatte mir vorgestellt, dass ich auf der Stelle tot umfallen würde. Und nun das. Ich wartete noch eine Weile, dann ging ich um das Haus herum in den Hof. Dort hatte eine Nachbarsfrau ihre Matte ausgerollt und versuchte, ihren Mittagsschlaf zu machen. Ich legte mich einfach zu ihr. Irgendwann begann das Gift zu wirken.
Diese Frau, Akuavi war ihr Name, merkte, dass mit mir etwas nicht stimmte. Ich wälzte mich herum, stöhnte. Akuavi schlug Alarm. Zum Glück war meine Mutter inzwischen nachhause gekommen.
»Hilfe«, schrie Akuavi, »das Mädchen stirbt!«
Da lief die ganze Nachbarschaft zusammen.
Aus meinem Mund lief weißer Speichel, was sie auf den Gedanken brachte, ich könnte etwas genommen haben. Meine Mutter rannte sofort zu dem Schuhschrank, sah nach dem Mäusegift und fand die leere Flasche. Ich hatte inzwischen das Bewusstsein verloren, schlug um mich und war so stark geworden, dass mich sechs Männer festhalten mussten. Dann flößten sie mir Palmnussöl ein, ein Hausmittel, das bei Vergiftungen eine heilende Wirkung entfaltet. Sie gaben mir davon so viel wie möglich, und obwohl ich mich wehrte, brachten sie mich dazu, eine Menge zu schlucken. Hinterher waren alle Stoffe rot von diesem Öl.
Ganz in der Nähe
Weitere Kostenlose Bücher