African Angel - Mit 50 Cents die Welt veraendern
hatte ich ganz andere Möglichkeiten. Eine Überdosis Schlaftabletten würde genügen.
Als ich an diesem Abend nachhause kam, fand ich in meinem Briefkasten ein Schreiben aus meiner Heimat. Es stammte von einem der Bukom-Kinder, die im Haus meiner Mutter unter der Obhut meines Onkels lebten.
»Liebe Harriet«, schrieb mir das Mädchen, »wie geht es dir? Mir geht es gut. Lezte Woche hatte ich Husten, aber der ist schon wieder weg. Gestern haben wir unsere Zeugnise bekommen und ich habe nur in Englich eine Drei, sonst lauter Zweien und in Matematik sogar eine Eins. Ich bin so glücklich, dass ich zur Schule gehen kann. Vor einem Jahr konnte ich noch nicht einmal schreiben. Und jezt schreibe ich dir diesen Brief.
Ich bete morgens, mittags und abends dafür, dass Gott dir gute Tage schenkt. Möghe er dich segnen und überall hin begleiten. Auch meine Mutter lässt dich hertzlich grüssen. Du wohnst immer in unseren Hertzen!
In Liebe deine Rebecca«
Ich weinte – und lachte unter Tränen über Rebeccas Rechtschreibfehler. Wie dumm ich doch war! Ich wurde geliebt und gebraucht. Gott hatte mir eine Aufgabe gestellt, schon als Kind hatte ich meine Bestimmung erkannt.
Ja, ich war einsam in Deutschland, aber zuhause würden mich 51 Kinder vermissen, wenn es mich nicht mehr gäbe. Wie ihre Väter würden sie Fischer werden, die ihr Leben lang nicht aus der Schuldenfalle der Kanu-Besitzer herauskämen. Die Mädchen würden im Alter von 13 Jahren Babys bekommen und von da an in Bukom von kleinen Hilfsarbeiten ein armseliges Leben fristen. Viele würden gar nicht erst erwachsen werden, weil sie vorher an Malaria oder Typhus sterben würden, da das Geld für Medikamente fehlte.
Ich wusch mir das Gesicht und betrachtete mein Spiegelbild. Ich hatte eine Aufgabe. Endlich wusste ich wieder, wofür ich auf der Welt war.
ETWAS BEGINNT UND ETWAS ENDET
»Du bist wie eine Katze«, sagte einmal jemand zu mir. »Egal, aus welcher Höhe man dich hinunterwirft, du landest immer auf den Beinen.«
Tatsächlich bin ich wieder und wieder in die Tiefe gestürzt und immer aufgestanden. Ich hoffe und bete, dass ich das tiefe Tal der Tränen heute endgültig hinter mir gelassen habe, denn dieses hatte ich tatsächlich durchqueren müssen, ehe ich die Kreise gefunden habe, in die ich gehöre.
Nachdem ich die afrikanische Kirchengemeinde verlassen hatte, litt ich darunter, in Glaubenssachen wieder heimatlos zu sein. So heuchlerisch manche Mitglieder auch gewesen sein mögen, die Gemeinde war für mich so etwas wie ein Stück Heimat in Deutschland geworden. Nun musste ich mich neu orientieren.
Immer wieder dachte ich an die anglikanische Kirche, von der ich in Anthonys Unterlagen nach unserer Ankunft in Deutschland gelesen hatte. Ich hatte mich nie aufraffen können,aktiv nach ihr zu suchen. Und dann erlebte ich einmal mehr, wie zielgenau mich Gott auf den Weg schickt, wenn er will.
Nach Dienstschluss hatte ich mich in meinem Auto auf den Heimweg gemacht. Keine 200 Meter von der Messe entfernt machte der Motor komische Geräusche und blieb plötzlich stehen. Was ist denn jetzt los, dachte ich, bis eben hat der Wagen doch einwandfrei funktioniert. Na gut, dann gehe ich eben zu Fuß zurück zur Messe und bitte meine Kollegen um Hilfe.
Gesagt, getan. Ich überquerte die Straße und ging auf der gegenüberliegenden Seite zurück. Und auf einmal sah ich da eine Kirche, verborgen hinter hohen Bäumen. Obwohl ich diesen Weg schon so viele Jahre entlanggefahren war, hatte ich sie zuvor noch nicht entdeckt. Ich betrachtete das Gebäude aus der Nähe und sah neben dem Eingang ein Schild mit den Gottesdienstzeiten.
Am folgenden Sonntag betrat ich um elf Uhr morgens ganz schüchtern und vorsichtig den Kirchenraum – immer darauf gefasst, einer Sekte in die Hände zu fallen. Aber es handelte sich nicht um eine Sekte. Erst als der Gottesdienst nahezu vorbei war, kapierte ich endlich, dass ich die anglikanische Kirche gefunden hatte.
Bei den Anglikanern gefiel es mir gut. Der Gottesdienst ist zwar bei Weitem nicht so temperamentvoll und emotional wie bei uns Afrikanern, aber ich mochte die souveräne und freundliche Art des Pastors. Gleich nach dem ersten Besuch war mir klar: Solch emotionale Dramen wie in der afrikanischen Gemeinde würde ich hier nicht erleben. Aber mein Bedarf an Szenen wie diesen war auch vollständig gedeckt. Alles, was ich suchte, war eine geistige Heimat, die zu mir passte. Hier hatte ich sie gefunden.
Meine Kollegen
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