African Boogie
sagte, klang nicht falsch. »Im Kampf Weltbild gegen Fakten verlieren die Fakten«, murmelte sie für sich. Doch Javier verstand sie trotzdem: »Richtig. Glaube schlägt Wirklichkeit. Besonders in so existenziellen Fragen.«
Katharina blieb wieder stehen. »Warum ist er dann Gerichtsmediziner geworden? Und nach Frankfurt zurückgekehrt? Sucht er nicht nach der Wahrheit?«
»Das würde er auch sagen, ja. Und anfangs war das sicher auch so. Doch jetzt? Er läuft davon.«
»Aber die ganzen Experimente, die er mit sich gemacht hat, um seine Erinnerungen zurückzugewinnen …«
»Sie sehen doch, dass er aus den Ergebnissen die falschen Schlüsse zieht. Er bleibt lieber bei seiner kleinen Wahrheit. Dass er verrückt ist. Wie hat er es genannt? Dissoziative Persönlichkeit?«
»Ja. Aber was wäre die große Wahrheit?«
»Dass da draußen jemand ist, der die Frau, die er geliebt hat, umgebracht hat. Ohne Grund. Das pure Böse.«
»Der Teufel?«, fragte Katharina sarkastisch.
»Was denken Sie, wie der Teufel in die Welt gekommen ist? Um dieser Urangst ein Gesicht zu geben!«
Vielleicht hatte Javier recht. Vielleicht war sie deshalb immer so enttäuscht, wenn sie einen Fall aufgeklärt hatte: Weil sie wieder nicht Satan persönlich gegenübergetreten war, sondern irgendeinem kleinen Menschen mit banalen Motiven.
»Und was können wir tun, um ihm zu helfen?«, fragte sie nach einer Weile.
»Zunächst einmal können wir erkennen, dass wir nicht anders sind.«
»Wie meinen Sie das?«
Javier legte den Kopf schief und sah ihr in die Augen: »Warum sind Sie Polizistin geworden?«
Die Frage traf Katharina wie ein Stich in den Bauch. Sie war nur aus einem einzigen Grund Polizistin geworden: um herauszufinden, wer ihre Eltern umgebracht hatte.
Javier musste ihre Gedanken erraten haben. Er fuhr fort: »Und dennoch haben Sie sich erst jetzt mit dem Fall beschäftigt.«
»Vorher hatte ich die Akte nicht und –«
»Lügen Sie sich nicht selbst in die Tasche. Von so einer Kleinigkeit hätten Sie sich nicht abschrecken lassen. Sie haben Angst vor dem Danach.«
»Sie meinen, ich habe Angst vor der Wahrheit?«
»Nein, das meinte ich nicht. Stellen Sie sich vor, Sie treten eines Tages dem Mörder Ihrer Eltern gegenüber. Sie führen ihn der irdischen oder himmlischen Gerechtigkeit zu. Und dann?«
Ja, was war dann? Katharina wusste es nicht, da hatte Javier recht. Sie sah die leeren Gesichter der Angehörigen vor sich, wenn der Schuldspruch gefallen war. Wenn sie nach einem Moment der Erleichterung feststellten, dass die Toten noch immer tot waren und die Erde sich ohne sie weitergedreht hatte.
»Sie meinen, ich sollte die Suche aufgeben?«
»Nein. Im Gegenteil. Sie sollen die Suche endlich beginnen.«
»Aber ich weiß doch gar nicht, wo ich anfangen soll.«
»Das ist eine Ausrede«, ermahnte Javier sie streng. »Haben Sie eine Ermittlung noch nie mit leeren Händen begonnen?« Dann legte er ihr den Arm um die Schulter: »Sorgen Sie sich nicht um das Danach. Glauben Sie einem, der es weiß: Es gibt eines.«
»Ihnen?«
»Ich sagte ja eben: Wir beide sind ihm ähnlich.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie sind nicht die Einzige, die ihre Eltern durch ein Gewaltverbrechen verloren hat. Und ich war so davon besessen, den Mörder zu stellen, dass ich … Dinge getan habe, auf die ich nicht stolz bin.«
»Und, haben Sie den Mörder Ihrer Eltern gestellt?«
»Ja. Und danach habe ich Gott gefunden. Oder er mich.«
»Hat er Ihnen Ihre Sünden vergeben?«
»Nein. Ich werde sicher in der Hölle brennen. Aber bis dahin kann ich verhindern, dass es anderen Menschen so geht wie mir. Sie vor den Felipe de Vegas dieser Welt schützen. – Was haben Sie dem eigentlich angetan?«
Katharina war nicht danach, zu reden, also antwortete sie kurz angebunden: »Lange Geschichte. Bitte nicht heute Nacht.«
»Natürlich. Ein anderes Mal.« Javiers Arm lag noch immer um ihre Schulter. Die Berührung, die Wärme, die Javier ausstrahlte, taten gut. Katharina begann, sich wieder sicherer zu fühlen, zuversichtlicher.
Als sie vor der Tür ihres Bungalows angekommen waren, drehte sie sich zu Javier um. Sie wollte etwas sagen, sich bedanken, wusste aber nicht wie. Und sie erhielt auch keine Gelegenheit dazu. Denn Javier lehnte sich plötzlich vor, hob mit einem Finger ihr Kinn und küsste sie.
Wake Up!
Katharina erwachte mit pochenden Kopfschmerzen. Außerdem fühlte sie sich verdreht. Ihre Hände mussten sich hinter ihrem Rücken in ihre
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